Evertz zum Berge, Ursula

Evertz zum Berge, Ursula; Witwe [ – ]

„Auch für die Menschen im Amt Wetter[1] war die Pestwelle von 1635/36 verheerend. Gerd Helbeck beziffert die Menschen-verluste im Kirchspiel Schwelm[2] mit 1000 Personen, die Steuerstreitakten weisen für das Gericht Hagen[3] 2400 Menschen aus.[4] Den Angaben von Johann Dietrich von Steinen zufolge waren die Bauerschaften Esborn,[5] Silschede,[6] Wengern[7] und Albringshausen[8] nahezu menschenleer. Die berühmten Pestpredigten des über 90jährigen Pastors Johann Fabricius fanden unter freiem Himmel statt, da die Kirchspielsleute aus Bommern,[9] wo die Pest noch nicht so schlimm gewesen war, sich nicht mehr nach Wengern in die Kirche trauten. So ist Johann Fabricius seiner Gemeinde auf halbem Wege entgegengegangen und es wurde auf dem Höhepunkt der Epidemie Gottesdienst außerhalb der Kirche gefeiert.[10]

Die Pest in der Freiheit Wetter in der Grafschaft Mark war keineswegs weniger stark als anderswo, wie uns der eindrucksvolle Bericht der Ursula, Witwe des Evertz zum Berge, zeigt. Die Ereignisse während der Pest werden wegen eines Güterstreits im Jahre 1652 aufgerollt und nacherzählt.[11] Als die Pest auch in Wetter ausgebrochen war, verstarb daran Henrich Fischers Ehefrau. Der alte Henrich Fischer, der im Haus mit seinem schwachsinnigen Sohn lebte, beauftragte Clara Arentz und ihre Tochter, seine tote Ehefrau auszukleiden, für die Bestattung vorzubereiten und in den Sarg zu legen, damit sie ehrlich bestattet werden konnte. Darüber seien, so wird in der Quelle berichtet, Clara Arentz und ihre Tochter ebenfalls an der Pest erkrankt und verstorben. Möglicherweise waren Mutter und Tochter Arentz schon krank in das Haus des Henrich Fischer gekommen. Die beiden toten Frauen lagen dann im Haus für drei Tage, ehe Henrich Fischer es schaffte, Ursula und ihren Ehemann zu überreden, ins Haus zu kommen und Mutter und Tochter Arentz zur Bestattung fertigzumachen. Dies war nicht einfach, denn offensichtlich hatte schon eine andere Frau – die Croner’sche[12] – die inständige Bitte um Hilfe abgelehnt. Ursula erzählt: Endtlich bin ich Ursula, uff fleissigs Bitten Henrichen Fischers durch Wilhelm Aldemarck und den Fronen Johan Haberman begehrt worden ins Haus zu gehen und die Thodten auszukleiden, als aber bey der geschwinden pestilentialischen Gifft mich zwarn darin beschweret, doch mich bey solcher grossen Noth dahen bereden lassen und in Gottes Nahmen zu Trost des betrübten verlassenen Mans und Sohns heneingangen, beide Clara und ihre Tochter ausgekleidet. Nachdem Ursula die Pesttoten eingesargt hatte, blieb sie wegen weiterer Bitten im Haus und verpflegte die beiden Hinterlassenen. Dies war eine schwere Aufgabe, denn inmittels die Kriegsvolcker gar hauffig in die Freyheit kommen und bey solchem uberaus starcken Einfall in bemelten Fischers Haus uber hundert Man zu Ross und Fuess, im Haus, in Kammern, Stuben und uffm Balcken, Quartier gemacht, mich ubel tractirt und ins Fewer gestossen, daneben aller meiner Kleider verlustigt worden. Die nun inzwischen selber an der Pest erkrankten Vater und Sohn Fischer wurden von Ursula trotz der schweren Einquartierung versorgt. Zuerst starb der Sohn nach fünf Tagen, dann nach acht Tagen auch der Vater. Die schwedischen Soldaten weigerten sich, die Toten bis zur Bestattung im Haus zu belassen und warfen sie vor die Türe – bei klirrender Kälte in Kot und Mist. Wegen des gefrorenen Bodens konnten die Toten nicht sofort beerdigt werden, so daß Ursula mit ihrem Ehemann sich gezwungen sahen, draußen bei dieser Kälte die toten Körper insgesamt fünf Tage zu bewachen; dies vor allem vor streunenden Hunden und Katzen.

In der Auseinandersetzung um das Gut des verstorbenen Henrich Fischer standen sich schließlich im Jahre 1652 zwei streitende Parteien gegenüber, der erbberechtigte Thonisen zum Bruch, der nun die Rückgabe des Fischer-Gutes forderte und die Witwe Ursula, die über eine praktizierte christliche Nächstenliebe in den Besitz des Gutes gelangt war und schließlich über 15 Jahre diesen Besitz nicht nur innegehabt, sondern auch sämtliche Gemeindelasten – Kriegssteuern und Einquartierungen – getragen hatte. Der Streit führte schließlich dazu, daß Ursula alle seit 1637 aufgewandten Kosten auflistet und die Rückgabe des Gutes an einen Schadensersatz in Höhe ihrer Aufwendungen koppelt. In diesen 15 Jahren hatte Ursula Aufwendungen von insgesamt 259 Talern und 29 Schillingen. Die detaillierte Auflistung der Soldaten, die bei ihr einquartiert waren, ist hierbei von besonderem Interesse.[13] Interessant ist aber auch, daß sie zwischen 1637 und 1647 zu insgesamt 436 Steuerterminen veranlagt wurde und daß sie in dieser Zeit regelmäßig nur für das Haus an jedem Termin vier Schillinge bezahlte. Die zum Fischer-Gut gehörenden Ländereien wurden ihrer Steuersumme nicht angelastet, sondern tauchen als Restanten in der Restantenliste gesondert auf, was darauf hindeuten mag, daß die Gemeinde die Ländereien getrennt vom Haus zu verpachten suchte. Mit den aufgeführten Steuerveranlagungen und den dargelegten Einquartierungsleistungen war die Witwe Ursula eine typisch betroffene Person im Amt Wetter. Der Streit um dieses Gut wurde nach hartem Ringen durch einen gütlichen Vergleich beigelegt, denn Thonisen zum Bruch war zur Rückzahlung der ausgelegten Güter nicht in der Lage und mußte sich schließlich bereiterklären, gegen eine Abstandssumme von 40 Reichstalern sämtliche Ansprüche auf das Gut des Henrich Fischer fallenzulassen“.[14]

[1] Wetter [Ennepe-Ruhr-Kreis]; HHSD III, S. 778f.

[2] Schwelm [Ennepe-Ruhr-Kr.]; HHSD III, S. 679f.

[3] Hagen [LK Arnsberg].

[4] HELBECK, Schwelm, S. 321; SCHNETTLER, Herdecke, S. 15.

[5] Esborn, heute Stadtteil von Wetter [Ennepe-Ruhr-Kreis]; HHSD III, S. 778f.

[6] Silschede, heute Stadtteil von Gevelsberg [Ennepe-Ruhr-Kr.].

[7] Wengern, heute Stadtteil von Wetter [Ennepe-Ruhr-Kreis]; HHSD III, S. 778f.

[8] Albringhausen, heute Stadtteil von Wetter [Ennepe-Ruhr-Kreis]; HHSD III, S. 778f.

[9] Witten-Bommern, heute Stadtteil von Witten [Ennepe-Ruhr-Kreis].

[10] STEINEN, Fortgesetzte Westphälische Geschichte Bd. 3/2, S. 1470, 1522.

[11] BUSCHMANN, Wetter, S. 292.

[12] Die Croner’sche wie auch andere Eingesessene wurden um Hilfe gebeten, doch die Angst vor Ansteckung überwog offensichtlich bei den meisten Personen, obgleich für diesen Dienst 10 Reichstaler versprochen wurden.

[13] Angefangen mit den 100 (!) Schweden, die sie kurzfristig während der Pest im Hause hatte, führte sie noch zwei Reiter mit Pferden (140 Tage), zwei Pferde (84 Tage), nochmals zwei Reiter mit Pferden (133 Tage), holländische Reiter, 28 kaiserliche Soldaten, zwei weitere Soldaten (den Sommer über), zwei Soldaten (den Winter über), drei Pferde und 5 Soldaten (35 Tage) und schließlich nochmals drei Pferde (21 Tage) auf.

[14] RUTHMANN, Was damals fruchtbar, S.78ff.

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