Borgelen [Borgelo, von Burgolden, Purgoldt], Veit Kurt [Hans Veit]

Borgelen [Borgelo, von Burgolden, Purgoldt], Veit Kurt [Hans Veit]; Hauptmann [ – ] Borgelen war 1631/32 hessen-kasselischer Hauptmann im Regiment des Obristen Johann Riese.

„Am 1. November [1631] forderte der Landdrost [Friedrich von Fürstenberg; BW] den Rat der Stadt Rüthen[1] dringend auf, umgehend eine Abordnung zu geheimen Verhandlungen für mehrere Tage ab 5. des Monats auf das Schloß Arnsberg[2] zu entsenden. Denn die zwischenzeitliche Entwicklung im Raum östlich der Grenze des Herzogtums verhieß drohende Gefahr.

Landgraf Wilhelm war Ende Oktober in die westfälischen Lande eingefallen und hatte nach der kurkölnischen Enklave Volkmarsen[3] am 24. Oktober die Stadt Paderborn[4] genommen sowie anschließend Salzkotten[5] und Geseke[6] (28.10.) besetzt. Er beabsichtigte, nach dem Fall von Höxter[7] (1.11.) mit seiner Armee den Raum zwischen der Weser und der Linie Steinheim[8]-Lippstadt[9]-Meschede[10]-Winterberg[11] einzunehmen und dauerhaft als Einflußgebiet zu halten. Von Südosten stießen daher Anfang November zu diesem Zweck weitere hessische Truppen vor und hatten nach wenigen Tagen Marsberg[12] und Brilon[13] besetzt.

Damit aber mußte kurzfristig auch die befestigte Stadt Rüthen in das direkte militärstrategische Interesse der hessischen Kriegsführung geraten. So stand dann auch am Abend des 7. November 1631, einem Freitag, der hessische Rittmeister Ernst Albrecht von Eberstein mit einer Kompanie Reitern, von Brilon kommend, vor dem geschlossenen Oesterntor der Stadt Rüthen und begehrte Quartieraufnahme für seine Truppe. Die Verhandlungen mit den als Feinden von den Bürgern der Stadt angstvoll gemusterten Truppe[n ?] führte zunächst der im Oesteren Quartal der Stadt wohnende kurfürstliche Richter Rab Dietrich Schellewaldt vor den Mauern der Stadt, da die schutzlosen Dörfer seines ländlichen Gogerichts Rüthen eher gefährdet schienen als die befestigte Stadt. Doch nachdem sich der Richter den schriftlichen Quartierbefehl des Rittmeisters hatte zeigen lassen und weiter mit den Hessen verhandelt hatte, überredete er anschließend den Rat mit ’speciosen motiven‘ (wohlklingenden Argumenten), so daß dieser die Truppe schließlich doch in die Stadt ’nolens volens‘ einzulassen bereit war.

Noch in der gleichen Nacht traf dann Richter Schellewaldt als Verantwortlicher für das Gogericht Rüthen mit dem Rittmeister eine schriftliche Vereinbarung, was die Eingesessenen des Gogerichts auf der Basis ihres Schatzungsaufkommens, das üblicherweise das 1 1/2fache dessen der Stadt betrug, für die Truppe an Unterhalt und Kriegskontribution aufzubringen hatten. Am nächsten Tag aber folgte den Reitern eine weitere Kompanie hessischer Fußtruppen in die Stadt unter dem Befehl des Hauptmanns Karl Veit Borgelen (auch von Burgolden genannt).

Die beiden Offiziere beabsichtigten augenscheinlich eine langfristige Quartiernahme und verwiesen nunmehr auf eine diesem Zweck dienende, bereits von der hessischen Kriegsführung im voraus ausgestellte Kontributionsanordnung für eine dauerhafte Stationierung ihrer Truppen im Sinne der Besetzungsstrategie des Landgrafen für Rüthen und andere feste Städte des Herzogtums.

Zu entsprechendem Unterhalt und fortdauernder Kriegssteuerzahlung für die Truppen in Rüthen wurden darin neben dem Gogericht Rüthen die Städte Kallenhardt,[14] Belecke,[15] Warstein,[16] Hirschberg[17] und die Gerichte Mellrich,[18] Allagen,[19] Körbecke[20] und Mülheim[21] auf der Basis ihres jeweils üblichen Schatzungsanteils aufgefordert. Einerseits versuchte man die Zahlungsbereitschaft der Kontribuenten mit der Inaussichtstellung von salveguardien (Schutzbriefen) gegen weitere Kriegslasten zu motivieren, andererseits aber drohte man allen Betroffenen bei Leistungsverweigerung und -verzögerung mit scharfer militärischer Exekution, worunter unterschiedliche unmittelbare und zumeist willkürliche Zwangsmaßnahmen der Truppenführer vor Ort zu verstehen waren.

Nach dem Befehl hatte die Stadt Rüthen die jeweilig zutreffenden Kontributionsbeiträge auszuschreiben und einzutreiben. In den nächsten Tagen gelang es so, aus dem Gogericht Rüthen 545 Reichstaler und von den übrigen Kontribuenten zusammen 489 Reichstaler aufzubringen, die jedoch den beiden Offizieren und keineswegs der Stadt Rüthen und ihren Bürgern für die Unkosten des Truppenunterhalts (= Lebensmittel, Futter, Unterbringung, Servisgeld etc.) zufielen, ’sondern sie haben die sambtliche officiren, reiter und soldaten ohn einige beisteur mitt kost und fütterung überflüssig underhalten‘. Doch es sollte für Stadt und Bürgerschaft noch schlimmer kommen.

Da die generelle Kriegslage sich zwischenzeitlich insofern weiterentwickelt hatte, daß der Schwedenkönig nunmehr auf den Kurfürstensitz Mainz[22] und die Reichsstadt Frankfurt[23] zumarschierte, um diese Städte in seine Hand zu bekommen, forderte er seinen Verbündeten, den hessischen Landgrafen Wilhelm, kurzfristig auf, sein Besatzungsvorhaben im Herzogtum Westfalen vorerst aufzugeben und ihm in den Südwesten zu folgen. Auch die Rüthener Kompanien waren von diesem plötzlichen Abmarschbefehl betroffen.

Da die für eine längere Besatzungszeit vorgesehene Kontributionsregelung für sie aber nunmehr keine dauerhaften Früchte tragen konnte, mußten Offiziere und Soldaten ihre Hoffnung auf deren kontinuierlichen Erträge zwar zunächst aufgeben, dachten jedoch auch nicht daran, sich mit den bisherigen örtlichen Geldeinkünften zu begnügen. Enttäuschung, Geldgier und Zeitdruck steigerten nun die Beutesucht und man berief sich umgehend und willkürlich auf den Exekutionspassus der Quartierorder, nach der die Stadt nicht in der Lage gewesen war, in der Kürze der Zeit die geforderten Kontributionen für die Hessen vollständig beizubringen. Die Konsequenz war, daß die beiden Kompanieführer ihren Soldaten die Stadt zur Plünderung und Brandschatzung freigaben, um sich für die ausstehenden wie auch zukünftig entgehenden Kontributionen schadlos zu halten.

Der Rüthener Christoph Brandis resümierte über das nun Folgende zusammenfassend in seiner späteren Kriegschronik von 1650: ‚ … sein sie auf zukohme ordre, wie sie düße stadt schwer gebrandtschatzet undt allen fürrhath geldes, silbergescheirs, wandes (Kleidung), seithwerckes (Seidenzeug) undt waß sonsten obhanden gewesen, abgepreßet, eilfertigh aufgebrochen …‘

Die reicheren Bürger mußten bis zu 1000 Reichstaler zahlen und auch den minderbemittelten Einwohnern der Stadt wurde weggenommen, was sie an Geld und sonstigen Werten besaßen. Die Gesamtverluste der Bürgerschaft bei dieser Plünderung betrugen schließlich 5293 Reichstaler – eine ungeheuere Summe, wenn man bedenkt, daß sich die Gesamtausgaben des gewöhnlichen Haushaltes der Stadt Rüthen für das Jahr 1631 auf immerhin 1100 Reichstaler beliefen. Zu den wenigen, die bei dieser Plünderung ungeschoren davonkamen, gehörte neben einigen wenigen, wohl schon vorher verarmten Familien auffälligerweise auch der kurfürstliche Richter Rab Dietrich Schellewaldt !

Dies brachte ihm – neben dem Vorwurf eilfertiger, ungeschickter Verhandlungen mit den Hessen und seiner vorrangigen Verantwortung für ihre ungehinderte Besetzung der Stadt – auch schließlich seitens des Rüthener Rats den Verdacht der egoistisch-verräterischen Kumpanie mit den Hessen ein und ließ ihn nachfolgend in einen schweren Konflikt mit der Stadt geraten, der für beide Seiten noch ungeahnte Folgen haben sollte !

Doch die Geldgier und der Beuterausch der Hessen war mit der Plünderung der Bürgerschaft noch keineswegs beendet, denn sie erpreßten nun vom Rat der Stadt für ihren bevorstehenden langen Abzugsmarsch weitere 1194 Reichstaler. Aber auch diese Zahlung reichte ihnen noch nicht. Am Freitag, dem 14. November – gerade mal eine Woche nach ihrem Einmarsch – forderten sie die Stadt und alle Kontribuenten auf, am nächsten Tag umgehend einen ganzen Monatssold für die Truppen aufzubringen, wozu sie etliche ihrer Reiter in die benannten Städte und Gerichte zur nachdrücklichen Unterstreichung ihrer Forderungen schickten. Natürlich waren diese Gelder trotz aller Drohungen in der Kurzzeit einer Tagesfrist nicht aufzubringen. Und wieder hatte die Quartierstadt Rüthen die Folgen zu tragen. Zunächst aber wurde der für das Gogericht Rüthen verantwortliche kurfürstliche Richter am folgenden Samstag neben einigen anwesenden Bauern aus dem Gogericht durch Soldaten in seinem Haus festgesetzt.

Gleiches geschah jedoch auch hinsichtlich der Stadt Rüthen, für die der regierende Bürgermeister Johann von Loen, sein Stellvertreter und Vetter Hunold von Loen sowie der Stadtsekretär Johann Berndes gt. Wördehoff mit etlichen anderen Bürgern unter Zwang zum Rathaus abgeführt wurden, dort zu Gefangenen erklärt und bewacht wurden. Wegen des dringend bevorstehenden Aufbruchs ließ dann Rittmeister von Eberstein den Stadtsekretär Wördehoff vom Rathaus in sein Quartier im Haus des Christoph Brandis bringen und zwang dort den Sekretär, ohne vorherige Einwilligung und Kenntnisnahme des Rates, auch ohne jegliche genaue Aufrechnung der bisherigen Zahlungen und Leistungen eine Obligationsurkunde (= Schuldverschreibung) zu verfassen, die über eine Zahlungsverpflichtung von 2230 Reichstalern wegen des angeblich rückständigen Monatssoldes an die Truppe lautete. Diese Obligation mußte anschließend der Richter Schellewaldt für das Gogericht Rüthen als erster unterschreiben.

Brandis sollte ebenfalls für die Stadt gegenzeichnen, verweigerte dies aber, da seine Amtszeit als verantwortlicher Bürgermeister des Jahres 1631 mit der traditionellen Einsetzung seines designierten Nachfolgers Johann von Loen am 2. Sonntag nach Galli ( i. d. J. der 26. Oktober) nach Rüthener Verfassungsrecht bereits abgelaufen war. Darauf wurde die Obligation ‚zu den ermeldten (genannten) gefänglich angehaltenen bürgermeistern, gestalt sie ebenmeßigh zu subscribieren (unterzeichnen) ad curiam (dem Rathaus zugeschickt, welche dan auch auch alß zween alte, schwache und vast halbtodte under der soldaten zangh enthaltene (bewachte) und durch des richters vorhin beschehene subscription verleitete männer, in hoffnung angedrohete gefängliche wegführungh dadurch zu entfliehen, und aus zwangh und schrecken umbstehender soldaten, ohne das gringste vorwißen ihrer mittrhattsherren und bürgerschafft per vim institissimumque metum coacti (durch drohende Gewalt und Einschüchterung genötigt), gemeldte zugeschickte Obligation gleichfalls underschrieben‘.

Am Sonntag, dem 16. November, brachen die beiden Kompanien unter Mitführung der nun zu Geiseln erklärten Gefangenen und ihrer anderen umfangreichen Rüthener Beute, darunter die schweren stadteigenen Geschütze, die man zuvor von Toren und Türmen herabgeholt hatte, zum weiteren Abmarsch auf. Was mögen die Bürger empfunden haben, als sie von den Mauern herab den Heerhaufen in südöstlicher Richtung auf Brilon und Marsberg zu verschwinden sahen, der die Geiseln einem ungewissen Schicksal entgegenführte ?

Während die Reiter unter Rittmeister von Eberstein den kurfürstlichen Richter Schellewaldt als ihr menschliches Faustpfand ansahen, behielten die Fußtruppen des Hauptmanns Veit Borgelen während des Marsches die beiden Bürgermeister und einen weiteren Bürger als Geiseln in ihrer Mitte.

Hunold von Loen, 1602 Freigraf von Arnsberg und bis 1605 Richter zu Limburg,[24] war von 1606 an ca. ein Jahrzehnt selbst kurfürstlicher Richter in Rüthen gewesen und in diesem Jahr 1631 mindestens 65 Jahre alt. Sein Vetter Johann von Loen, bereits 1624 schon einmal Bürgermeister von Rüthen, war ca. 20 Jahre jünger. Etwa gleichaltrig mit ihm war Rab Dietrich Schellewaldt, der seit 1628 das kurfürstliche Richteramt in Rüthen ausübte und dem die angstvoll zurückbleibende Bürgerschaft nun einen Großteil Mitschuld an diesen Geschehnissen und an der schändlichen Behandlung und dem ungewissen Schicksal ihrer Bürgermeister zumaß.

Die erste Nachricht über deren Lage erhielt die Stadt von den verschleppten Geiseln am 20. November aus Kassel,[25] dem Regierungssitz des Landgrafen, wo man eine Marschpause eingelegt hatte. Johann von Loen bat darin den Rat dringend, das durch die Obligation festgelegte Lösegeld, aufgeteilt in verschiedene angegebene Münzsorten, eiligst nach Kassel in den Gasthof ‚Zum Fisch‘ bringen zu lassen. Das von den beiden Geiseln mitgenommene ‚Reisegeld‘ von ca. 130 Reichstalern sei mittlerweile durch laufende Zahlungen für das Wohlverhalten der begleitenden Soldaten aufgebraucht und müsse ebenfalls von der Stadt schleunigst ‚verbeßertt‘ werden. Er verwies weiter auf den durch die Marschstrapazen verschlechterten Gesundheitszustand seines älteren Vetters Hunold von Loen, denn das Marschtempo des Zuges richte sich nicht nach ihrem Alter und ihrer körperlichen Verfassung. Die Stadt möge daher insbesondere wegen des problematischen Zustandes Hunolds von Loen an den Leibmedicus des Landgrafen zu Kassel um entsprechende Hilfe schreiben. Er empfahl der Stadt das Lösegeld möglichst in Form eines raschen Wechselgeschäftes abzuwickeln, ‚den wir werden thaglich hoichlich mallestirt (sehr bedrängt)‘. Man habe den Johann Wegmann, einen Rüthener Mitbürger aus dem Schneringer Quartal, der die Geiseln begleitete, für 2 Tage nach Rüthen schicken können, um diese Botschaft zu überbringen. Man werde, so Johann von Loen weiter in seinem Berief, alsbald nach Niederzweren (südöstlich von Kassel), circa eine Meile östlich der Fulda gelegen, weitermarschieren. Den Richter habe man seither nicht mehr gesehen – offenbar hatten sich die Wege der beiden Kompanien zwischenzeitlich getrennt. Eingedenk ihrer Familien schloß Johann von Loen seinen Brief mit den zweifelnden Worten: ‚Unsere weiber haben sich mitt Gott zu trosten‘. Die schlechte Gesundheitsverfassung seines Vetters Hunold von Loen dokumentierte dessen Unterschriftsform, gekennzeichnet von der zittrigen Hand eines alten, geschwächten Mannes.

Die Stadt bemühte sich ob dieser schlechten Mitteilungen sofort um Ratgebung und mögliche Hilfe beim Landdrosten. Dieser stattete dann auch umgehend die Stadt mit einem Befehl aus, womit sie sich vordringlich um Ersatz für die von den Hessen mitgenommenen Geschütze und sonstigen Waffen in Marsberg und an allen anderen dazu in Frage kommenden Orten bemühen sollte. Bezüglich der Geiseln und ihrer Auslösung aber reagierte er sehr zurückhaltend.

Mit beschwichtigenden Worten erklärte er, daß er dazu weder Anweisungen, Verbote noch Befehle erteilen wolle. Er riet jedoch der Stadt, mit der Erlegung des geforderten Lösegeldes keine Eile zu haben, da Gott in Kürze vielleicht schon andere Möglichkeiten ihrer Befreiung eröffne. Im übrigen, der Landdrost, gehe es den Geiseln vermutlich gar nicht so übel, als daß man eine Entscheidung unbedingt herbeizwingen müsse. In erster Linie habe man die großen Unkosten und andere damit verbundene schwierige Begleitumstände zu bedenken.

Das nächste Schreiben der Geiseln an ihre Heimatstadt datierte vom 3. Dezember[26] aus der vom Schwedenkönig und seinen Verbündeten eingenommenen Reichsstadt Frankfurt, wo die Geiseln sich bereits seit dem 23. November aufhielten. Enttäuscht schrieb Johann von Loen, daß man bisher vergebens auf einen Boten mit dem Lösegeld bzw. mit Nachricht über den gewünschten Wechsel aus Rüthen gewartet habe. Man sei verzweifelt und habe sich ‚bettelerweise‘ selber zwischenzeitlich bei zahlreichen wohlhabenden Frankfurter Bürgern unter Hinweis auf seine Lage und auf die zu erwartende Auslösung durch die Heimatstadt um eine Beihilfe zum Lösegeld bemüht. Daher bat Johann von Loen nochmals den daheimgebliebenen Rat in Rüthen mit aller Dringlichkeit: ‚Alß ist um Gottes willen bittendt, ir in angesicht dieses euch mit dem gelde oder wexsell alhir stündlich verhelffen wollet‘. Man hatte die Bürgermeister standesgemäß in sog. bürgerliche Haft (= in einem Bürgerhaus bei freier Bewegungsmöglichkeit innerhalb der Stadt) beim Wirt Johann Flitner auf der Gelhauser Straße untergebracht, und die Geiseln fürchteten nun, daß sie bei Nichteinhaltung ihrer Versprechungen von den sie unterstützenden Bürgern in Frankfurt alsbald ‚als diebe, schelme und übelthetter geachtet werden‘. Die Spenden der Frankfurter Bürger beliefen sich immerhin zwischenzeitlich auf eine erstaunliche Höhe von 654 1/2 Reichstaler, wozu allerdings auch Kleidung in Höhe von 74 1/2 Reichstalern und Silberzeug im Wert von 10 Reichstalern gehörte. So standen noch etwa 1744 1 2 Reichstaler an Lösegeld aus, wobei die Geiseln befürchteten, daß nunmehr der Regimentskommandeur Obrist Johann Rieße [Riese] seinerseits noch zusätzlich 200 Reichstaler fordern würde. Auch würde der Hauptmann Veit Borgelen die Erstattung seiner Unkosten verlangen. Dieser hatte es sich nämlich zur Gewohnheit gemacht, regelmäßig mit seinem Militärgesinde (u. a. Hofmeister, Koch, Leibschützen) und den Geiseln – natürklich auf deren alleinige Kosten – zu tafeln, was die Zusatzkosten der Geiselhaft auf Dauer erheblich ansteigen ließ: ‚Der hopman will auch alle unkosten bezallet haben, ehr ist mitt unß in die vornembste herbergen zur gaesten, had sich aufs aller stadtlichest verplegen laßen, und wießen noch nicht, was daß kosten wirdt‘.

Deshalb bat Johann von Loen vorausschauend schon um eine Ausstellung des Wechsels auf mindestens 2000 Reichstaler, um auch die Zusatzkosten begleichen zu können. Hinsichtlich der Absicherung des Wechsels empfahl er, neben seinen wohlhabenden Schwiegervater auch den gräflich-lippischen Amtmann zu Lipperode,[27] Christian Schwickert und nicht zuletzt auch die Rüthener Juden um finanzielle Unterstützung zu bitten. Vergeblich hatte man den ihnen bekannten Frankfurter Kaufmann Damberge wegen einer weiteren Lösegeldvorstreckung aufgesucht, da dieser zu der Zeit in Köln weilte. Um Kosten zu sparen, hatten die Bürgermeister eine karge Unterkunft gewählt, beklagten sich nun aber über die große Winterkälte und die dauernde Belästigung durch Läuse.

Doch die Reichsstadt Frankfurt bot ihnen auch außergewöhnliche Eindrücke: Der schwedische König weilte zu dieser Zeit mit vielen seiner Verbündeten zu Beratungen in der Reichs- und Krönungsstadt. Die Bürgermeister nahmen dort an 3 großen ‚generall reviun (= Heerschauen) Gustav Adolfs teil und staunten über die Größe und Stärke der dem König vorgeführten hessischen und sächsisch-weimarischen Regimenter. Den imponierenden Eindruck der demonstrierten Militärmacht des Schwedenkönigs faßte Johann von Loen zusammen: ‚Seine sachen  gehen alle ohne wiederstandt geluiklich fortt, daß woell zu vermuten, alle stiffter under seine gewalt zu bringen‘. Wie recht sollte der Bürgermeister mit seinen Ahnungen haben ! Der erwartete Wechsel, so Johann von Loen in seinem Brief weiter, müsse von dem beauftragten Boten und ein oder zwei Begleitern, die zu Frankfurt bekannt seien, überbracht werden, daneben auch das Geld für die zugesandten Rechnungen über die Unkosten der Geiseln. Johann von Loen schloß seinen Brief an die Heimatstadt wiederum mit einem dringenden Appell. ‚Und bitten wir zufoer, daß kein fleiß gespartt werde unnd wer helffen kan, der helffe, den ehr thuet Gott einen gefallen‘.

Wie aber sah es nun mit der Hilfe aus Rüthen aus ? Die Stadt hatte sich zwischenzeitlich an verschiedenen Orten, u. a. in den Städten Münster[28] und Büren[29] erfolgreich um Kredite sowie entsprechende Schuldverschreibungen bemüht, so daß Mitte Dezember auf diesem Wege 2000 Reichstaler der gesamten Lösegeldsumme aufgebracht werden konnten, von denen allein 1000 Reichstaler der Stadt durch Adolph von Hanxleden, Erbgesessener zum Hagen, geliehen wurden. Die restliche Summe von 200 Reichstalern hatte man innerhalb der Stadt durch eine Sonderschatzung aufgebracht.

Da man in diesen gefährlichen Zeiten das Geld nicht bar nach Frankfurt zu bringen wagte, hatte man durch die Rüthener Kämmerer Johann Kemna und Anton Brüninghausen mit dem Kaufmann Laurenz Walter zu Homburg[30] Kontakt aufgenommen und mit ihm vereinbart, daß er gegen 3 % Wechselgebühr den Wechsel auf die gesamte Summe des Lösegeldes nach Frankfurt auszustellen bereit war, wofür sich die beiden Kämmerer mit ihrem Namen ihm gegenüber verbürgen mußten. Das Geld für diesen Wechsel sollte für den Homburger Kaufmann anschließend bar in Köln hinterlegt und der Wechsel dann dort der Stadt ausgehändigt werden.

Somit beauftragte die Stadt am 23. Dezember aus dem Rüthener Rat die ehemaligen Kämmerer Johann Schreiber und Andreas Groß und aus der Bürgerschaft Philipp Hartmann und Jörgen Knickenberg gegen deren Eidableistung, die Wechselsumme (= das Lösegeld) nebst den vereinbarten Wechselgebühren nach Köln zu überbringen und sich von Laurenz Walter die entsprechende Wechselurkunde aushändigen zu lassen. Darüber wurde zwischen der Stadt und den Beauftragten eine förmliche ‚assecuration‘ (= gegenseitige schriftliche Gewährleistung) abgeschlossen und diesen im Original und auch als städtischer Geleitbrief auf ihre nicht ungefährliche Reise mitgegeben. Über den Homburger Kaufmann Lorenz Walter war zwischenzeitlich kurz nach dem 21. Dezember der bis dahin noch ausstehende Lösegeldrest von 1608 Reichstalern durch die beiden Geiseln bar beim Frankfurter Kaufmann Anton Christian Mohr hinterlegt worden, den der zu dieser Zeit abwesende Regimentskommandeur Obrist Johann Rieße dazu ausdrücklich schriftlich bevollmächtigt hatte. Am 27. Dezember erteilte der Obrist den Geiseln aus seinem Quartier zu Erbach[31] im Rheingau den Entlassungsschein und die Erlaubnis, endlich in die Heimat zurückzukehren. Für den gefahrvollen Rückweg stellte er ihnen zudem für alle ihnen eventuell begegnenden schwedischen und hessischen Truppen einen gesonderten Geleitbrief aus, ‚mit bit, dieselben nicht alleine frey, sicher undt ungehindert durchkommen undt paßieren, sondern auch auf alle begebende fälle allen geneigten guten willen ihnen wiederfahren zu laeßen‘.

Doch zunächst hatten die Bürgermeister noch andere aufgelaufene Geldforderungen zu befriedigen. So erhielt der zwischenzeitlich wegen Krankheit abwesende Hauptmann Veit Borgelen weitere 129 Reichstaler aus der Lösegeldsumme, die der Wirt Johann Flitner für ihn in Empfang nahm. Außerdem berechnete der Wirt für die Frankfurter Aufenthaltszeit vom 23. bis 31. Dezember den Rüthener Bürgermeistern insgesamt 356 Mahlzeiten, Tischtücher, diverse Weine, Botenlöhne etc. in einer Gesamthöhe von 232 Reichstalern, die vorwiegend durch die vom Hauptmann zahlreich veranstalteten ‚Gastmahle‘ entstanden waren. Außerdem verkaufte Johann Flitner ihnen 2 ausgerüstete Pferde für 30 Reichstaler, mit denen die ehemaligen Geiseln den weiten Heimweg antreten wollten.

Im heimatlichen Herzogtum Westfalen aber war wegen der Rüthener Geiselprobleme die Entwicklung der Lage nicht stehen geblieben. Der Landdrost hatte kurz nach der Entführung der beiden Bürgermeister und des kurfürstlichen Richters den daheimgebliebenen Rüthener Altbürgermeister und Juristen Christoph Brandis zum kommissarischen Richter für das Gogericht Rüthen ’substituiert‘. Die fortwährende latente Bedrohung des Herzogtums durch hessische Truppen hatte den Landdrosten veranlaßt, aus Ermangelung an vorhandenen kaiserlich-ligistischen Schutztruppen, dem kommissarischen Richter des Gogerichts Rüthen am 29. November eine Generalmusterung aller wehrfähigen Männer zwecks Mobilisierung als Landschützen anzubefehlen. Diese sollten schriftlich erfaßt und mit Angabe ihres Alters, ihres Vor- und Zunamens und ihrer jeweiligen Bewaffnung aufgelistet werden, um je nach Erfordernis eine sofortige Aushebung des 2., 3. oder 5. Mannes zu ermöglichen. Eine für die Dauer einer Woche angelegte Vorratsverpflegung für jeden Schützen war durch die Daheimgebliebenen sicherzustellen und auf 25 Mann ein Korporal zu bestimmen. Für jeden Ort sollte die entsprechende Auflistung innerhalb von 10 Tagen an die kurfürstliche Kanzlei zu Arnsberg übermittelt werden. Jeder Schütze hatte von nun an mit seiner Bewaffnung sonntags zum Gottesdienst in der Kirche zu erscheinen, damit die Waffen stets kontrollierbar bereit und in Ordnung gehalten wurden.

Am 28. Dezember befahl aus Arnsberg der Droste zu Rüthen u. kurfürstliche Rat Berndt Sylvester von Hörde zu Störmede dem kommissarischen Richter Brandis, umgehend zum Schutz der Ostgrenze vor drohendem hessischem Überfall 100 Schützen aus dem Gogericht Rüthen ‚mit rhoren, kraut undt loedt zu notturft versehen‘ und unter strenger Strafandrohung etwaigen Ungehorsams nach Brilon zu entsenden, wo der Briloner Richter hinsichtlich ihrer weiteren Verwendung und Versorgung über sie befinden würde. Sollte die Stadt Rüthen in der Zwischenzeit erneut in Gefahr geraten, sei den Schützen des Gogerichts Erwitte[32] anbefohlen worden, in diesem Fall der Stadt zu Hilfe zu kommen.

Die hektische Eile dieser Schützenmobilisierung durch Christoph Brandis ließ das Geiselschicksal des ebenfalls von den Hessen entführten ordnungsgemäßen Richters Rab Dietrich Schellewald zunächst in den Hintergrund treten. Ihn hatte der hessische Rittmeister von Eberstein als seine Geisel wegen der rückständigen Kontribution des Gogerichts ebenfalls am 16. November nach Kassel entführt, von wo aus die Kompanie des Hauptmanns Veith Borgelo mit den beiden Bürgermeistergeiseln den Weg nach Frankfurt einschlug und sich die Kompanien mit den jeweiligen Geiseln folglich getrennt hatten. In Kassel wurde dann jedoch im Laufe des Monats Dezember das Lösegeld für den Richter – ebenfalls in Höhe der von ihm mitunterzeichneten Obligation von 2230 Reichstalern -, vermutlich im wesentlichen aufgebracht aus eigenen Mitteln und denen seiner wohlhabenden Verwandtschaft, abgeliefert.

Anfang Januar kehrte dann der Richter als erster der Geiseln wohlbehalten nach Rüthen zurück – und erhob sofort beim Landdrosten eine Forderung gegen die Stadt auf Wiedererstattung der Lösegeldsumme an seine Leihgeber aus der Stadtkasse. Der Rat der Stadt, vielbeschäftigt mit der eigenen Lösegeldregelung und den angeordneten, fortlaufenden Verteidigungsvorbereitungen gegen die bedrohlichen Hessen, war natürlich hell empört ob dieser aus Stadt- und Bürgersicht unerwarteten Dreistigkeit des vorher schon unbeliebten Richters. Er verwies Schellewaldt mit seiner Forderung daher sofort an die Eingesessenen des ihm untergebenen Gogerichts, die ihm zwischenzeitlich nach Wissen der Stadt schon 1054 1/2 Reichstaler erstattet hatten und ihm für die Resteintreibung als Kontribuenten zur legalen Verfügung standen. Der Richter aber bestand auf Erstattung durch die Stadt, da diese nach seiner Auffassung die Kontributionen an die Hessen seinerzeit zentral verantwortlich einzutreiben hatte und sich ihre gesamten Unkosten ja bei den ihr seinerzeit zugewiesenen Kontribuenten erstatten lassen könnte.

Zwischen der Stadt und dem unbelehrbar bleibenden Richter, mit dem der Rat von Rüthen seit 1628 bereits zahlreiche andere vielfältige Rechtsstreitigkeiten auszufechten hatte, entwickelte sich diese Frage wiederum zum langatmigen Rechtsstreit, der bis vor das Reichskammergericht in Speyer[33] führen sollte und den die Stadt erst 1651 mit viel Mühe und Aufwand gegen die Erben Schellewaldts erfolgreich abschließen konnte.

Brachte die Rückkehr des Richters aus der Geiselhaft solch ungeahnte neue Probleme für die Stadt mit sich, so hofften Rat und Bürgerschaft um so mehr auf die alsbaldige Ankunft ihrer beiden sachkundigen und tatkräftigen Bürgermeister, nachdem nun das verlangte Lösegeld auch für diese durch ein umständliches Wechselgeschäft seitens der Stadt hatte übermittelt werden können. Am 1. Januar waren Johann und Hunold von Loen von Frankfurt aus zu Pferd aufgebrochen und auf umständlichen Wegen, abseits aller vermuteten Truppenbewegungen und -lagerplätze, und nach vielen Tagen dadurch verursachter Verzögerung schließlich an der Lahn unterhalb Marburgs[34] angelangt. Am Samstag, dem 13. Januar 1632, versuchten sie, den wegen der große[n] Kälte dieses Winters vereisten Fluß mit ihren Pferden an abgelegener Stelle zu überqueren. Da ereilte Hunold von Loen sein Schicksal: sein Pferd brach im Eis ein und versank mit seinem Reiter in den kalten Fluten der Lahn. Wenige Tage später (vermutlich am 29. Januar) erreichte sein Vetter Johann von Loen seine Heimatstadt Rüthen und berichtete von den Geschehnissen“.[35]

1635 stand Borgelen als Kapitän im schwedischen Regiment, das von Riesenschmidt geführt wurde.[36]

[1] Rüthen; HHSD III, S. 659f.

[2] Arnsberg; HHSD III, S. 28ff.

[3] Volkmarsen; HHSD II, S. 441f.

[4] Paderborn; HHSD III, S. 601ff.

[5] Salzkotten; HHSD III, S. 660f.

[6] Geseke; HHSD III, S. 253f.

[7] Höxter; HHSD III, S. 346ff.

[8] Steinheim (Kr. Höxter); HHSD III, S. 702.

[9] Lippstadt; HHSD III, S. 474f.

[10] Meschede; HHSD III, S. 512ff.

[11] Winterberg; HHSD III, S. 789.

[12] Marsberg; HHSD III, S. 494ff.

[13] Brilon; HHSD III, S. 119f.

[14] Kallenhardt; HHSD III, S. 376f.

[15] Belecke; HHSD III, S. 59.

[16] Warstein; HHSD III, S. 756.

[17] Hirschberg; HHSD III, S. 326f.

[18] Mellrich; HHSD III, S. 504.

[19] Allagen, heute Ortsteil von Warstein [Kr. Soest].

[20] Körbecke; HHSD III, S. 426.

[21] Mülheim; HHSD III, S. 531.

[22] Mainz; HHSD V, S. 214ff.

[23] Frankfurt/M.; HHSD IV, S. 126ff.

[24] Limburg; HHSD IV, S. 292ff.

[25] Kassel; HHSD IV, S. 252ff.

[26] CONRAD; TESKE, Sterbzeiten, S. 331ff.

[27] Lipperode; HHSD III, S. 472f.

[28] Münster; HHSD III, S. 537ff.

[29] Büren; HHSD III, S. 131ff.

[30] [Bad] Homburg v. d. Höhe; HHSD IV, S. 23ff.

[31] Erbach (Rheingaukr.); HHSD IV, S. 111f.

[32] Erwitte; HHSD III, S. 210f.

[33] Speyer; HHSD V, S. 350ff.

[34] Marburg; HHS IV, S. 35ff.

[35] SOMMER, Rüthen, S. 205ff.

[36] SCHÜTTE, Dreißigjähriger Krieg, Nr. 75.

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