Leiningen-Dagsburg-Falkenburg, Emich XII. Graf

Leiningen-Dagsburg-Falkenburg, Emich XII. Graf [1612-1657]

In Detmold[1] regierte auf Wunsch Catharinas von Waldeck, verwitwete Gräfin zur Lippe, vormundschaftlich Graf Emich XII. von Leiningen-Dagsburg-Falkenburg, der seit 1641 mit Catharinas jüngerer Schwester Dorothea von Waldeck verheiratet war. Der Kontakt zu diesen Verwandten [Johann Casimir] des Regenten erwies sich aber gar bald als nicht etwa vorteilhaft oder gewinnbringend für die Familie zur Lippe und das Land, vielmehr wurde diese Begegnung für einen der Detmolder Grafen fatal im eigentlichen Sinn des Wortes.

„Im Frühjahr 1644 trug sich ein Vorfall zu, der für den Grafen Hermann Adolf sehr unangenehm war und für seinen Bruder Otto Heinrich in den späteren Folgen verhängnisvoll wurde. Am 18. April begab sich der Administrator Graf Emich v. Leiningen nach Brake,[2] um im dortigen Kruge mit dem Grafen Hermann Adolf, der als Rittmeister im Regiment des Herzogs [Philipp Ludwig; BW] von Holstein in Lemgo[3] stand, und mit dessen Bruder Otto Heinrich zu konferieren. Von dort aus ließ er seinem Vetter, dem Oberst und Kommandanten von Lemgo, Grafen Johann Kasimir von Leiningen, sagen, er werde nächstens selber zu ihm kommen, um mit ihm zu reden, oder wenn es ihm gefiele, möge er ein wenig zu ihm herausreiten. Graf Johann Kasimir hatte zunächst Bedenken wegen des ‚allda zu besorgenden Trunkes‘, machte sich aber schließlich zwischen 2 und 3 Uhr nachmittags doch noch mit einigen anderen Offizieren nach Brake auf und nahm, da zwischen Detmold und Lemgo eine verdächtige Truppe gesehen worden war, zu seiner und der anderen Sicherheit einen Korporal und 15 Knechte mit. Nach einem Trunk, wie ihn Johann Kasimir befürchtet, begaben sich mehrere Offiziere zur Erfrischung auf den Hof, wo eine ‚Pielketafel‘ stand, und vergnügten sich damit, nach den auf dieser Tafel stehenden Steinen mit anderen Steinen zu werfen. Dabei flog ein vom Grafen Johann Kasimir geworfener Stein zwischen den Beinen des Grafen Hermann Adolf hindurch, ohne ihn zu berühren. Wie ersterer später behauptete, war dies unabsichtlich geschehen, und er hatte auch um Entschuldigung gebeten; andere sagten, er habe es mit Absicht getan und noch einige Steine hinterher geworfen. Den Obristwachtmeister Witte vom Holsteinischen Regiment verdroß dieser Scherz, und er reizte den den Grafen Hermann Adolf, sich das nicht gefallen zu lassen, mit Redensarten, wie: ‚Frische Eier, gute Eier ! oder: Wenns mich anginge, wollte ichs ihm gedenken. Fort, fort, Herr Graf, es muß geschlagen sein ! Ein jeglicher nehme seinen Mann in acht, ich will meinen wohl finden, daß er bald soll in Stücken liegen. Wir müssen uns von den Paßgängern und Fußschabben (Infanteristen) nicht kommandieren lassen‘. Graf Hermann Adolf fragte den Oberst: ‚Vetter, wie soll ich das verstehen ?‘ Dieser aber legte sich auf die Tafel und lachte ihn höhnisch aus. Als nun Graf Hermann Adolf den Oberst aufforderte, ‚herauszukommen‘, antwortete dieser, daß man ‚einen solchen Rittmeister wohl in Arrest nehmen könnte‘. Darauf entfernte sich Graf Hermann Adolf. Als nun der Oberstleutnant Witte seinen Rittmeister dem Oberst gegenüber in Schutz nahm, antwortete dieser mit einer groben Beleidigung; es kam zu Tätlichkeiten, und die beiden mußten mit Gewalt von den Umstehenden getrennt werden. Am nächsten Morgen ließ der Oberst dem Oberstleutnant wie dem Grafen Hermann Adolf Arrest ankündigen, und sie mußten wohl auch trotz ihres Protestes den Arrest antreten. Später fand dann eine Untersuchung der Sache statt, über das Ergebnis derselben ist aber in den Akten nichts zu finden. Graf Hermann Adolf nahm zu Anfang des folgenden Jahres seinen Abschied aus kaiserlichen Diensten“.[4]

„Die schon wiederholt in Erwägung gezogene Neutralität Lemgos wurde seit Beginn des Jahres 1643 immer dringender vom ganzen Lande gefordert, und da auch Lemgo selbst die Last der Einquartierung kaum noch ertragen konnte, wurden von der Detmolder Regierung zusammen mit den Vertretern Lemgos die größten Anstrengungen gemacht, um davon befreit zu werden. Aber alles war vergebens. Die Kaiserlichen machten die Räumung abhängig von der Zusicherung der Schweden, die Stadt nicht besetzen zu wollen, und es sollten nicht nur den Generälen für ihre Einwilligung größere Summen gezahlt, sondern auch ihren Frauen und den Vermittlern ‚Verehrungen‘ gemacht werden. Die Schweden verlangten dergleichen erst recht, und wenn man endlich die Zustimmung beider Parteien erlangt hatte, befürchtete man doch, daß der Vertrag unter Umständen nicht gehalten werden könnte. Man hatte auch keine Gewißheit, ob die Hessen den Vertrag respektieren würden, da diese zu gleicher Zeit die Räumung von Höxter[5] verlangten. Endlich fehlte es am Wichtigsten, nämlich an dem Gelde, um die versprochenen Summen zu bezahlen, oder die Detmolder Regierung und Graf Otto, die Ritterschaft und die Stände stritten sich darum, wer und wie viel ein jeder jeder bezahlen sollte. Kurz, die Neutralität Lemgos kam nicht zustande, und es lohnt daher überhaupt nicht die Mühe, die darüber geführten Verhandlungen im einzelnen zu verfolgen.

Obwohl nun das ganze Land durch die fortwährenden Kontributionen und sonstigen Kriegsbeschwerden allmählich völlig erschöpft war, so glaubte doch die Stadt Horn[6] ganz besonderen Grund zur Klage zu haben. Sie wandte sich daher im Januar 1644 mit einem flehentlichen Schreiben an den Grafen v. Leiningen, worin sie alle ihr bisher auferlegten Lasten anführte und die Unmöglichkeit, fernerhin Kontribution zu zahlen, darzutun suchte. Daraufhin sollte ihr auch wirklich die Hälfte der Kontribution erlassen und den anderen Städten auferlegt werden. Dagegen erhoben diese wieder energischen Protest, und besonders die Stadt Salzuflen[7] setzte in einem nicht minder kläglichen Schreiben auseinander, daß sie noch viel mehr zu klagen hätte als Horn, welches sehr ausgedehnte Ländereien besäße, auch durch die Bierbrauerei und andere Gewerbe große Einkünfte hätte, während Salzuflen sehr wenig Land besitze, wegen der Nähe größerer Städte Handel und Gewerbe bei ihnen wenig floriere und auch die Einkünfte aus dem Salzwerk durch den Krieg sehr verringert wären.

Es ist schwer, jetzt zu entscheiden, wie weit die Behauptungen beider Städte begründet waren; so viel steht jedenfalls fest, daß es in beiden überaus traurig ausgesehen haben muß, und es ist kaum zu begreifen, woher doch immer das Geld genommen wurde, um die Kontribution zu bezahlen. Nur die Angst vor den gewaltsamen Exekutionen vermochte immer noch etwas von den armen Leuten herauszupressen. Wie es dabei zuweilen herging, sehen wir aus einem Klagschreiben aus Salzuflen vom 27. Juli 1644. Demnach erschienen zwei Tage vorher zwei betrunkene Soldaten vor einem Tore der Stadt und verlangten unter Lärmen und Toben Einlaß, ohne sich zu legitimieren oder den Zweck ihres Kommens anzugeben. Nachdem sie endlich einen Paß vom Kommandanten von Lemgo vorgezeigt hatten und eingelassen waren, erklärten sie, daß innerhalb von zwei Tagen 100 Tlr. rück-ständige Kontribution geliefert werden müßten. Sie fügten auch gleich hinzu, daß sie die Nacht über ‚lustig dimiren‘ wollten. Dies taten sie denn auch und drohten neben allerlei Unfug ihre Wirtin mit dem Feuerrohr niederzuschießen. Am folgenden Morgen nahmen sie den Torwachen die Schlüssel ab und drohten weder Menschen noch Vieh ein- und auszulassen, wenn ihnen nicht zuvor Geld gezahlt würde, obwohl ihnen versprochen war, daß die geforderte Summe so schnell wie möglich zusammengebracht werden sollte. Während nun die armen Bürger unter vielem Weinen und Seufzen ihre Beiträge ablieferten, überfielen die trunkenen Soldaten einen Bauersmann, schleppten ihn in ein Wirtshaus, stießen ihn unter den Tisch und peinigten und ängstigten ihn mit gespanntem Feuerrohr dermaßen, daß er sich mit einem Stück Geld loskaufte. Dasselbe versuchten sie bei dem Müller von Salzuflen, aber ohne Erfolg. Zu Mittag wurde den Soldaten gesagt, daß das verlangte Geld da sei und daß sie dem Boten folgen möchten. Sie tranken aber weiter und feuerten in ihrem Übermut mehrere Schüsse ab, darunter einen in das mit Korn gefüllte Nachbarhaus, welches dadurch in Brand geriet, und bei der großen Trockenheit war zu befürchten, daß die ganze Stadt eingeäschert werden möchte. Der Täter wurde deshalb festgenommen und zur Verhütung weiteren Unglücks aufs Rathaus gebracht. Während nun die durch den Glockenschlag herbeigerufenen Bürger aufs eifrigste mit Löschen beschäftigt waren, lief der zweite Soldat zum Rathaus und rief dem gefangenen zu, er möge herunterkommen, sie wollten einen Handel anfangen, davon solle die ganze Stadt zu sagen wissen. Er bedrohte auch die beim Löschen beschäftigten Bürger mit dem Feuerrohr und nannte sie Schelme und Diebe, was ihm diese wieder durch Stöße mit den Feuerleitern und Eimern vergalten. Schließlich brachte man ihn auch noch aufs Rathaus und bat den Administrator zu Detmold, die Bestrafung der Soldaten zu erwirken.Ob diese erfolgt ist, läßt sich nicht ermitteln.

Aber nicht nur die gemeinen Soldaten, sondern auch die Offiziere machten es, wie Graf Otto in einem Beschwerdeschreiben an den Feldzugmeister v. Vehlen [Alexander v. Velen; BW] sagt, ‚je länger je gröber‘. Rittmeister Alefeld aus Lemgo nämlich, dem von Graf Otto, wie jener behauptete, ein Knecht zum Kriegsdienst überlassen und dann wieder entzogen war, hatte sich gegen ihn und ’seinen Edelmann‘ v. Offen ungebührlich betragen. Als nun Graf Otto seinem Obristwachtmeister Witte davon Anzeige machte, ritt Alefeld sofort, nachdem er davon Mitteilung erhalten, mit 18 Reitern nach dem Dorfe Brake, wo Graf Otto gerade dem Gottesdienst beiwohnte. Er ließ sogleich den Kontributionsschreiber aus der Kirche holen und verlangte, daß er eine Tonne Mindener Bier für seine Reiter holen lassen sollte, bis Graf Otto aus der Kirche käme. Die Reiter trieben unterdessen allerlei Mutwillen und schlugen etliche Leute. Als Graf Otto aus der Kirche kam, ritt Alefeld auf ihn zu, saß zwar vor ihm ab, ließ aber sofort etliche Reiter hinter, vor und neben ihn und seine Angehörigen reiten und sie wie Gefangene unter allerlei ‚unnützen Worten‘ nach dem Schlosse begleiten. Unterwegs wußte es Graf Otto so einzurichten, daß seine Gemahlin, Kinder und Gesinde den Reitern vorauskamen. Als aber Alefeld dies merkte, schickte er sofort einige Reiter nach, um Offen zu holen, daß er sich zu Fuß oder zu Pferd mit ihm raufen sollte. Diese ritten mit gespannten Hahnen zwischen den Frauen, Kindern und Mägden auf Offen los, und einer faßte ihn am Arm, um ihn zurückzubringen. Offen erklärte, daß er erst einen Degen holen müsse, worauf sie ihn unter Schimpf- und Drohworten gehen ließen. Als Graf Otto den Rittmeister darüber zur Rede stellte, erwiderte er, Graf Otto habe geschrieben, daß er mit ihm und Offen ‚Abtrag‘ machen solle; er kenne keinen anderen Abtrag als mit Degen und Pistolen und sei deshalb da, um mit Offen zu raufen. Auf dem Schlosse angekommen, ließ Graf Otto das Tor versperren und verbot Offen, der sich schon fertig gemacht hatte, hinauszugehen. Alefeld setzte sich darauf in den Krug und trank, während seine Leute draußen allerlei Unfug verübten. Er ließ auch Offen noch einigemale auffordern, herunterzugekommen, um mit ihm ‚zu raufen oder zu saufen‘; aber Graf Otto trug mit Recht Bedenken, unter solchen Umständen das Leben Offens aufs Spiel zu setzen. Alefeld blieb dann noch die ganze Nacht mit seinen Leuten im Dorfe, dessen Bewohner nicht nur reichlich zu essen und zu trinken heranschaffen mußten, sondern auch auf alle Weise belästigt wurden. Als er aber von seinen Vorgesetzten deswegen zur Rechenschaft gezogen wurde, behauptete er nicht nur völlig unschuldig zu sein, sondern beklagte sich noch obendrein über den Grafen Otto, der den angeworbenen Knecht ihm vorenthalten habe; sein Verhalten in Brake überging er klugerweise ganz mit Stillschweigen.

Wie in diesem Falle, so gaben auch sonst in dieser Zeit die Werbungen immer wieder Veranlassung zu den schwersten Klagen. Obwohl es dem Bürger wie dem Bauer schlecht genug erging, so waren doch offenbar nur sehr schwer Leute zu finden, die zu dem immer weniger Gewinn und noch weniger Ehre bringenden Kriegsdienst Neigung hatten. Die Werber bedienten sich daher der gemeinsten Hinterlist und Grausamkeit, um die immer mehr sich lichtenden Reihen ihrer Truppen wieder auszufüllen. Außer denen, die in dem langen Kriege nichts als diesen kennen gelernt hatten und deren Existenz von der Fortsetzung des Krieges abhing, waren alle des Krieges endlich müde.

Abgesehen von einigen Durchmärschen fanden in Lippe während des Jahres 1644 keine nennenswerten Kriegsereignisse statt, und nach langen Vorbereitungen traten endlich im Jahre 1645 die Vertreter der Kriegsparteien in Münster[8] und Osnabrück[9] zusammen, um über den Frieden zu verhandeln. Die Kriegsfackel schien beinahe erloschen zu sein; da flammte sie gerade in unserer Gegend noch einmal mächtig empor. Im April 1646 zog nämlich der schwedische Reichszeugmeister Graf Karl Gustav Wrangel mit einem großen Heere durch Lippe, um den Kaiserlichen die Festung Höxter zu entreißen. Die Grafschaft war zeitweise mit 15 Regimentern belegt, Städte und Dörfer wurden völlig runiert, alles war auf der Flucht. Während der Belagerung von Höxter begab sich Graf Emich von Leiningen selbst in das schwedische Lager, und auch der junge Graf Jobst Hermann ritt von Schwalenberg mit Drost v. Mengersen dorthin, um nach Möglichkeit Schaden von Lippe abzuwenden; natürlich aber mußte den Belagerern Proviant geliefert werden, so viel nur in dem völlig erschöpften Lande noch aufgetrieben werden konnte. Höxter wurde bald genommen – der kommandierende Obristwachtmeister Hans Fargel wurde im Mai/Juni deswegen arrestiert und saß noch im November 1646 in Haft – , die Lieferungen aber mußten noch fortgesetzt werden, da Wrangel bleiben wollte, bis die Befestigungen von Grund aus demoliert wären.

Obwohl die Besatzung von Lemgo die Schweden an ihrem Marsche durch Lippe nicht hatte hindern können, so suchten sie natürlich jetzt auch diese am Wege von Minden[10] nach Höxter liegende Festung in ihre Gewalt zu bekommen. Zu diesem Zweck rückte Generalleutnant v. Königsmark von Nordwesten heran und verlangte am 12. Mai von Vechta[11] aus für seine Truppen 100000 Pfd. Brot, 50 Schlachtrinder, 200 Faß Bier und 400 Sack Hafer. Um die der Stadt Lemgo drohende Gefahr abzuwenden, hatte der Administrator Graf von Leiningen bereits mit dem Feldmarschall Melander [Holzappel; BW], der aus hessischen Diensten ausgetreten war und jetzt von Köln[12] aus die kaiserlichen Truppen in Westfalen kommandierte, Verhandlungen wegen Räumung Lemgos angeknüpft. Vom Grafen Wrangel hatte er auch am 9. Mai die Zusage erhalten, daß die kaiserliche Garnison ungehindert aus Lemgo ausziehen und nach Warendorf[13] geleitet werden sollte. Es wurde hierzu eine Frist von acht Tagen bewilligt. Melander stellte darauf zur Sicherung seiner Truppen noch einige Bedingungen, über die noch weiter verhandelt wurde. Als die Frist abgelaufen war, ohne daß Melander eine bestimmte Erklärung abgegeben hatte, forderte Königsmark energisch zum Abzug auf, widrigenfalls er andere Mittel ergreifen würde. Graf Emich von Leiningen suchte auf alle Weise seinen Vetter, den Kommandanten von Lemgo, zum Abzug zu bewegen. Er stellte ihm vor, daß Melander im wesentlichen eingewilligt hätte und auch die von ihm noch gestellten Bedingungen erfüllt werden würden; er selbst wolle ihn wegen der übrigen Punkte, Zahlung der rückständigen Gelder und Mitführung der Geschütze und des Proviants, völlig sicher stellen. Er gab ihm auch zu bedenken, daß anderenfalls dem Römischen Kaiser sein Regiment verspielt, die Bürgerschaft von Lemgo und die ganze Grafschaft ruiniert und ein untüchtiges Glied des Reiches werden würde. Der Kommandant beriet sich darauf mit seinen Offizieren, und nachdem diese ihre Zustimmung gegeben, versprach er am folgenden Tage (20. Mai) auszuziehen. Wie verabredet, kam der Administrator am nächsten Morgen mit seinen Räten wieder nach Lemgo ‚um den Auszug zu fördern und eine schriftliche Versicherung für sein oben erwähntes Versprechen zu überreichen‘. Da zeigte ihm der Kommandant ein in der Nacht eingetroffenes Schreiben Melanders, worin ihm befohlen wurde, bis zum Eintreffen weiterer Ordre nichts in dieser Sache zu tun. Trotz allen Zuredens ließ sich der Kommandant nicht dazu bewegen, auf eigene Verantwortung die Stadt zu verlassen. Königsmark aber wollte sich nicht länger hinhalten lassen; er rückte von Salzuflen heran, schloß die Stadt ein und eroberte sie nach einem drei Stunden währenden Sturm in der Nacht zum 23. Mai. Der Kommandant und alle Offiziere wurden gefangen genommen und die Stadt gänzlich ausgeplündert. Auch der herbeigeeilte Administrator konnte durch seine Fürbitte nicht verhindern, daß den armen Leuten ihr Korn, Vieh, Kleider und ‚alles was nagellos‘ weggenommen wurde wurde. Der Befehl Melanders zum Auszug kam zu spät, und mit Recht beklagte sich der Graf von Leiningen in seinem Bericht an ihn bitter über den Schaden, der hierdurch der Stadt Lemgo und der ganzen Grafschaft entstanden wäre, nachdem sie während des Krieges dem Römischen Kaiser etliche Millionen Taler an Kontributionen und auf andere Weise erlegt hätten.

Die Schweden dachten jetzt ebenso wenig wie früher die Kaiserlichen daran, Lemgo freiwillig aufzugeben, und auch die Bürger hatten, wahrscheinlich weil die Besatzung nun evangelisch war, ihre Meinung wieder dahin geändert, daß sie Eides halber die von ihren Vorfahren vor 100 Jahren angelegten Festungswerke nicht demolieren könnten. Da die Stadt selbst nichts hatte, mußte die Verpflegung aus dem Lande geliefert werden. Aber auch hier herrschte ein erbarmungswürdiger Zustand. So hatte die Stadt Horn,[14] welche außer 22 Armen und Witwen nur noch 125 Bürger zählte, von denen auch noch einige im Kriege oder sonst abwesend waren, beim Durchmarsch Wrangels 4 Regimenter 10 Tage lang verpflegen müssen und berechnete dafür 9071 Tlr. Der Schaden der brakischen Ämter wurde auf 43904 Tlr., der des übrigen Landes auf 63856 Tlr. berechnet.

Wenn nun auch die Ämter des Grafen Otto beim Durchzug Wrangels wie bei der Belagerung Lemgos besonders stark gelitten haben mochten, so war doch jedenfalls die Art und Weise nicht zu billigen, wie er auch jetzt wieder alle Lasten auf das Ganze abzuwälzen versuchte, während er sich sonst ganz und gar nicht darum kümmerte und auch die Oberherrschaft von Detmold immer weniger anerkennen wollte. Der Administrator schrieb ihm in Bezug hierauf einmal in sehr bestimmten Tone, daß er in Detmold an Stelle des regierenden Herrn vom Kaiser verordnet und Graf Otto als abgeteilter Herr nicht berechtigt sei, ihm Gesetze zu geben, er selbst dagegen allerdings in geistlichen und weltlichen, Zivil- und Kriminalsachen der brakischen Ämter mitzusprechen habe. Mit Recht war auch der Oberamtmann Mai [Mey; BW] entrüstet über das Verhalten der brakischen Bauern. Diese waren beim Herannahen der Schweden mit ihrem Vieh und sonstiger Habe nach dem Schlosse Sternberg[15] geflüchtet und hatten dort lange Zeit die größte Gastfreundschaft und den Schutz der von den Amtseingesessenen unterhaltenen Wache genossen. Wie sich denken läßt, war auch viel ruiniert, und beim Abzug hatten sie den ekelhaftesten Schmutz zurückgelassen. Als nun von einigen derselben eine geringe Entschädigung eingetrieben wurde, beklagten sie sich bei ihrem Amtmann und verlangten die Rückerstattung des bezahlten Geldes. Oberamtmann Mai wies dies ‚unverschamte Anmuhten‘ ganz energisch zurück.

Bei allem Jammer und Elend mußten die Kontributionen an beide Parteien weiter bezahlt werden. Die Kaiserlichen benutzten den Betrag für Oktober dazu, die in Lemgo gefangenen Offiziere wieder loszukaufen. Die Schweden, denen jetzt an Stelle der Kontributionen Naturalien geliefert werden sollten, mochten diese wohl nicht immer regelrecht erhalten und hielten sich daher für berechtigt zu nehmen, wo sie etwas fanden. So plünderten sie in einer Nacht das Gut Braunenbruch bei Detmold vollständig aus und nahmen sogar dem Besitzer, Hofrichter Schwarz, die nötigsten Kleidungsstücke aus dem Schlafzimmer weg“.[16]

„Nach der Eroberung von Höxter hielt sich der Herzog Philipp Ludwig von Holstein mit seiner Gemahlin an verschiedenen Orten auf, während die Söhne der letzteren, seit 1644 auch der dritte, erst in Marburg,[17] später in Gießen[18] zusammen mit ihren Darmstädter Vettern erzogen wurden. Am 13. August 1646 aber starb zunächst der jüngste, Ludwig Christian, an den Blattern, und zwei Monate später folgte ihm Hermann Otto. Der älteste, Simon Philipp, wurde deshalb nach Darmstadt[19] gebracht. Seine Mutter wünschte ihn aber aus mancherlei Gründen vom Hofe des Landgrafen zu entfernen, und auch der Graf von Leiningen bat den letzteren darum, ihn nach Detmold zu schicken, damit er hier die Huldigung einnehmen und dann auf Reisen gehen könnte.

Da aber der Landgraf sich allen Bitten und Bemühungen widersetzte, führte Katharina eine Zusammenkunft mit ihrem Sohne in Frankfurt herbei, lockte ihn hier in das Haus der Gräfin Holzapfel (Melander) und ließ ihn von dort entführen. Nachdem er sich eine Zeitlang bei seiner Mutter in Köln und Hamm[20] aufgehalten hatte, wurde er auf Wunsch des Grafen von Leiningen zu Ende des Jahres 1647 nach Detmold geholt, wo er während des Winters blieb. Die Entführung war wohl hauptsächlich deswegen geschehen, weil Katharina die Verlobung ihres 16jährigen Sohnes mit der 8jährigen Tochter des Grafen Holzapfel mit deren Mutter verabredet hatte und eine Verbindung mit der Tochter des Landgrafen hindern wollte. Nicht nur die Verlobung, sondern auch die Ehepakten kamen im folgenden Jahre wirklich zustande, natürlich mit der Bedingung, daß die Heirat erst später stattfinden sollte. Simon Philipp studierte nun ein Jahr lang in Leyden[21] und begab sich dann auf Reisen nach Frankreich, der Schweiz und Italien, wo er sich einige Zeit in Florenz aufhielt und als vorzüglicher Reiter Bewunderung erregte. Von einem kurzen Aufenthalt in Rom zurückkehrt, wurde er von einem heftigen Fieber befallen und starb in Florenz am 9. Juni 1650. Zum großen Unglück für das gräfliche Haus hatte er ein Testament hinterlassen, in welchem er seiner Mutter alle seine Allodialgüter und eine bare Summe von 30 000 Tlrn. vermacht hatte. Die Herzogin Katharina war schon im November 1649 in Köln gestorben; da aber für ihre Tochter aus zweiter Ehe von deren Vater und später von ihrem Gemahl, dem Grafen Sinzendorf, Ansprüche auf diese wegen Unmündigkeit des Testators bestrittene Erbschaft erhoben wurden, so entstand ein langwieriger Prozeß, der dem gräflichen Hause ungeheure Kosten verursachte“.[22]

„Es muß etwa im Februar 1648 gewesen sein, daß Otto Heinrich auf Bitten des Grafen Emich von Leiningen dessen Gattin Dorothea von Detmold aus nach Hause brachte zum leiningenschen Schloß Heidesheim,[23] nordostwärts von Grünstadt[24] in der Pfalz. Unglücklicherweise hielt sich damals auch Johann Casimir von Leiningen gerade dort auf. Otto Heinrich blieb für einige Zeit in Heidesheim und scheint sehr deutlich gezeigt zu haben, was er von dem früheren kaiserlichen Kommandanten von Lemgo hielt – diesem selbst und auch anderen Herren. Am 9. März (alten Stils) wollte er die in einer Sänfte reisenden Gräfin Agnes von Waldeck zu dem leiningenschen Schloß Hardenburg[25] (westlich von Bad Dürkheim[26]) begleiten. Johann Casimir ritt der kleinen Reisegruppe nach, holte sie zwischen Dackenheim[27] und Herxheim[28] ein und sprach den Lipper an. Es ergab sich ein Wortwechsel, Otto Heinrich wollte seine Pistolen ziehen, aber Johann Casimir kam ihm zuvor und holte ihn mit zwei Kopfschüssen aus dem Sattel. Der Tote wurde nach Detmold überführt und am 16. Mai in der Stadtkirche beigesetzt.

Die Akten des Staatsarchivs Detmold enthalten Darstellungen des Geschehenen, Zeugenaussagen, Ergebnisse von Befragungen usw., die Otto Heinrich eindeutig als das Opfer eines geplanten, heimtückischen, hinterhältigen Mordes erscheinen lassen. Daß Johann Casimir den Grafen zur Lippe ums Leben gebracht hat, ist unbestritten. Er selbst hat die Tat zugegeben, aber als Notwehr hingestellt. Schwer belastet ihn die Schilderung des Geschehenen durch Agnes von Waldeck in einem Brief an Emich von Leiningen, die keinen Zweifel daran aufkommen lassen will, daß es sich um einen vorbereiteten, gezielten Mord gehandelt habe. Es ist Bericht darüber an den Kaiser ergangen und gegen Johann Casimir ein Prozeß eingeleitet worden, der sich lange hingezogen hat. Mit wie wenig Sachverstand die Untersuchung geführt wurde, geht schon allein daraus hervor, daß ein im kaiserlichen Auftrag abgefaßter Schriftsatz vom 23. Dezember 1648 den Tatbestand so darstellt, als sei Otto Heinrich mit Agnes von Waldeck am 9. März von Lippstadt[29] (!) aus nach Hardenburg unterwegs gewesen. Nach jahrelangem Prozessieren ist die Untersuchung ergebnislos verlaufen, der Täter unbestraft geblieben“.[30]

[1] Detmold; HHSD III, S. 156ff.

[2] Brake; HHSD III, S. 112.

[3] Lemgo; HHSD III, S. 452ff.

[4] STEGMANN, Lippe, S. 138ff.

[5] Höxter; HHSD III, S. 346ff.

[6] Horn; HHSD VII, S. 341f.

[7] [Bad] Salzuflen; HHSD III, S. 48.

[8] Münster; HHSD III, S. 537ff.

[9] Osnabrück; HHSD II, S. 364ff.

[10] Minden; HHSD III, S. 517ff.

[11] Vechta; HHSD II, S. 461f.

[12] Köln; HHSD III, S. 403ff.

[13] Warendorf; HHSD III, S. 754ff.

[14] Horn [LK Detmold]; HHSD III, S. 341f.

[15] Sternberg; HHSD III, S. 703f.

[16] STEGMANN, Lippe, S. 138ff.

[17] Marburg; HHS IV, S. 35ff.

[18] Gießen; HHSD IV, S. 172ff.

[19] Darmstadt; HHSD IV, S. 79ff.

[20] Hamm; HHSD III, S. 286ff.

[21] Leiden [Leyden, Prov. Südholland].

[22] STEGMANN, Lippe, S. 151f.

[23] Colgenstein-Heidesheim; HHSD V, S. 65f.

[24] Grünstadt; HHSD V, S. 121f.

[25] Hardenburg; HHSD V, S. 128f.

[26] (Bad) Dürkheim; HHSD V, S. 22f.

[27] Dackenheim [LK Bad Dürkheim].

[28] Herxheim; HHSD V, S. 136f.

[29] Lippstadt; HHSD III, S. 474f.

[30] FINK, Grafen zur Lippe, S. 42f.

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