Diodati [Deodati], Fabio; Obristleutnant und Geheimschreiber [1609/1610 ? – 24.2.1636 Wien] Diodati, ein Neffe des Obristen[1] Giulio Diodati,[2] stammte aus Lucca[3] und stand 1633/34 in den Diensten Piccolominis.[4]
„Wollte Piccolomini die Folgen seiner großspurigen Anklage [gegen Wallenstein;[5] BW] aufschieben oder verhindern, so hätte er sich nach Wien wenden müssen. Dort, für ihn freilich peinlicherweise, hätte er zu verstehen geben müssen, daß er die Dinge doch zu schwarz gemalt haben könnte. Nicht im Traum dachte er daran. Mit steigender Ungeduld erwartete er in den letzten Januarwochen das Echo auf sein eigenes Werk. An Aldringen:[6] »Ich kann Eurer Exzellenz nicht verhehlen, daß ich der ratloseste Mensch von der Welt bin. Ich sehe, daß ich für die großen Dienste, die ich dem Hause Österreich leisten will, mit Undankbarkeit belohnt werde … « »Der Hof gibt mir keinerlei Nachricht … « »Vor mehr als vierzehn Tagen habe ich den spanischen Botschafter von allem, was in Pilsen[7] geschieht, unterrichtet, und noch ist mir nicht die mindeste Antwort zuteil geworden … « Er schickte seinen politischen Adjutanten nach Wien, Fabio Diodati, Bruder des Obristen Giulio. Der kam als Träger guter Nachrichten zurück vom Grafen Oñate und vom Kaiser:[8] es sei der höchste Wille, sich des Herzogs zu bemächtigen lebendig oder tot, per prigionar o per morte. Nun hätte Piccolomini froh sein können, er war es wieder nicht: »Ich kann nicht finden, daß unsere Sachen gefährlich genug stehen, um einen so gewagten Entschluß zu rechtfertigen; es ist ja gar nicht möglich, ihn zu realisieren, ohne daß der Hof vorher Maßnahmen träfe, um die unzufriedenen Soldaten loyal zu stimmen, damit sie die plötzliche Exekution billigen … « Geld, Geld, Geld mußte beschafft werden; er wiederholte die Warnung in fast jedem seiner Briefe. Er hatte ganz offenbar Angst vor der Aktion, die doch aus seiner eigenen, nur allzu buchstäblich geglaubten Denunziation so sicher folgen mußte, wie das Amen nach dem Gebet, Noch einmal mußte Fabio nach Wien: wie man sich die Ausführung den vorstellte ? Der Adjutant traf den Grafen Oñate außerhalb der Stadtmauern, in aller Heimlichkeit, vermutlich am 31. Januar; die Unterredung dauerte von 9 bis 1. Nach dem Bericht, den der Vertrauensmann am nächsten Tag an Piccolomini sandte, erklärte Oñate sich folgendermaßen. Höchste Eile tat not. Denn obwohl man sich bemüht hatte, das »Geschäft« streng geheimzuhalten, so wußten doch schon viele davon – zum Beispiel der Botschafter selber, der an jenem Tag offiziell noch gar nicht eingeweiht war. Wallensteins Spionagesystem war perfekt (Irrtum: er hatte keine Ahnung); erfuhr er von dem, was ihm drohte, so würde er sich nicht nur desto schleuniger den Feinden in die Arme werfen, sondern auch den Exekutoren – Gallas,[9] Piccolomini, Aldringen – nach dem Leben trachten. »Nie mehr wird der Kaiser ihm vertrauen können, nie mehr werden Eure Exzellenz Seiner Hoheit vertrauen können.« Einen Minister, etwa Eggenberg, nach Pilsen zu schicken – den Gedanken hatte man erwogen – , war ganz unnütz; die dem Grafen Gallas erteilte Vollmacht, das Patent vom 24. Januar, genügte zu allem. Geld für die Truppen mußte man sammeln und bereithalten; jetzt aber es sehen lassen um Gottes Willen nicht. Gab man es Wallenstein, so gebrauchte der es für seine Zwecke; gab man es an andere Generale, so wurde des Herzogs lauernder Verdacht erweckt. Übrigens, fügte Oñate verheißungsvoll hinzu, würden ja demnächst gewaltige Vermögen zu konfiszieren sein, der Besitz Wallensteins und Trčkas. Das würde reichen zur Befriedigung der Armee, wie auch um alle Treuen zu belohnen. Welche Unannehmlichkeiten die rasche Hinrichtung auch mit sich brachte, sie wogen leicht verglichen mit der Gefahr einen totalen Ruins, die wuchs »mit jedem Tag, den dieser Mensch noch leben durfte«.“[10]
„Leicht war es gewesen, Wallenstein umzubringen – eine Überraschung. Nun war es schwer, die Welt von der Rechtlichkeit der Tat zu überzeugen und stand man da als friedhässige, gottlose Tyrannenmacht. Eine zweite Überraschung, so unangenehm, wie die erste erfreulich. Man rief den Feldmarschall Piccolomini zu Hilfe. Er, der zu alledem den Anstoß gegeben, sollte nun auch der Öffentlichkeit sich vorstellen mit sonnenklaren Zeugnissen; man würde sie im Druck verbreiten. Wirklich brachte Piccolomini im März eine Relation zu Papier. Sie enthielt die Lügen, die wir schon kennen, und die Wahrheit, welche wir gleichfalls kennen; wie die Exekution vorbereitet wurde. Von den Lügen aber nur einen Teil; es fehlten wesentliche. Gereizter Schriftwechsel zwischen der Hauptstadt und des Feldmarschalls Quartier; Erweiterungen, Zusätze. Der Bericht hat sich gefunden im Jahre 1629 [?] in der Bibliothek des Vatikans; auf der letzten Seite links unten zeigt er Unterschrift und Siegel des Grafen Gallas. Die Namenszüge Piccolominis, die rechts hätten zu stehen kommen sollen, aber nicht. Der Feldmarschall hatte die Bestätigung dessen, was er selber geschrieben oder durch seinen Assistenten Fabio Diodati hatte schreiben lassen, verweigert. Er tat dies, weil er erst seiner Belohnung sicher sein wollte, weil er den Kaiser zur Offenbarung des heimlichen Urteils zwingen wollte, weil er sich zurückgesetzt fühlte, weil der Gang der post-wallensteinischen Justiz und Politik ihm mißfiel. Aber ohne die Unterschrift des Kronzeugen war der Bericht wertlos. Man mußte auf seine Drucklegung verzichten. Allenfalls war Piccolominis Material für einen anderen Zweck zu gebrauchen“.[11]
Der Rat der Reichsstadt Überlingen,[12] Dr. Johann Heinrich Pflummern, berichtet in seinen Tagebüchern unter dem Februar 1636 anlässlich seines Wiener Aufenthalts von einem Vorfall in der besten Wiener Gesellschaft. „Der böhmische Kanzler Georg Adam von Martinitz, Sohn des defenestrierten Statthalters Jaroslav Bořita, kommt nach Hause und überrascht seine Frau Giovanna Gonzaga mit dem Offizier Fabio Deodati. Diesem gelingt es nicht mehr, sich zu verbergen, so daß er auf Martinitz schießt, schließlich aber selbst von dessen Dienern erstochen wird. Die Geschichte ist auch in anderen Quellen überliefert, da sie am Hof für Aufsehen sorgte und sogar den Nuntius Malatesta Baglioni verwickelte, der in seinen Briefen darüber erzählt. Bestand das Aufsehen im Wiener Adel vor allem darin, daß Martinitz im eigenen Haus betrogen und mit der Pistole bedroht wurde, so wertet Pflummern den Mord an Deodati mindestens ebenso schwer. Der Grund dürfte darin liegen, daß er die Informationen von einer Frau Katzbeckin erhielt, die zur Hofmeisterin der geflüchteten Gräfin Martinitz im Frauenkloster von St. Jakob auf der Hülben bestellt wurde und gleichzeitig Pflummerns eigene Kostgeberin war“.[13] Im Original liest sich das so: „Vorgehenden Sonntag oculi, den 24 Februarij, hatt sich alhie zu Wien ein tragicum factum verloffen. – Einer namens Deodati, so deß bekandten obristen Deodati vetter geweßt, von ongefahr 26 jahren, hatt vnderdeßen, daß der junge herr graff von Martiniz böhemischer vicecantzler deß ihenigen herrn Smisanski, so zu Prag bei anfang derselben rebellion vom fenster abgestürzt worden, sohne, mit der zu Hungarn vnd Böhemb kön. Mst.[14] im reich abweesendt geweßt, zu seiner gemahlin, geborner Gonzagin, sollche kundtschafft gewonnen, daß er auch auf bemellten sontag abendts vmb 7 vhren in deß graffen behaußung gangen. Der graff, so auß vorgehabten verdacht seiner diener auf den aviso bestellt, ist auf dessen avisation[15] zu hauß kommen, hatt den deodati bei seiner gemahlin in der stuben gefunnden. Der Deodati, so sich anfangs zu verbergen gesůcht, alß er aber vom graffen erwischt worden, hatte seine pistolen auf ihne angesetzt, vnd obwoln deß graffen diener einer vndergeloffen vnd die pistolen etwaß außgeschlagen, ist jedoch der schuß dem graffen durch seinen linngen arm gangen vnd hatt dass bain vebel zerschmettert. Darauff deß graffen diener zugelauffen, vnd haben den Deodati mit vilen stichen vnd straichen ellendiglich vmbs leben gebracht. Dessen leichnamb zu dem h. Creutz apud minoritas begraben : deß graffen gemahlin aber, so sich bald auß dem hauß gemacht, ist volgenden tag in daß frawencloster zu S. Jacoben verschafft vnd ihro vnser damalige costfraw, die f. Catzbeckhin, als ein hofmaisterin zugeordnet worden“.[16]
[1] Obrist: I. Regimentskommandeur oder Regimentschef mit legislativer und exekutiver Gewalt, „Bandenführer unter besonderem Rechtstitel“ (ROECK, Als wollt die Welt, S. 265), der für Bewaffnung und Bezahlung seiner Soldaten und deren Disziplin sorgte, mit oberster Rechtsprechung und Befehlsgewalt über Leben und Tod. Dieses Vertragsverhältnis mit dem obersten Kriegsherrn wurde nach dem Krieg durch die Verstaatlichung der Armee in ein Dienstverhältnis umgewandelt. Voraussetzungen für die Beförderung waren (zumindest in der kurbayerischen Armee) richtige Religionszugehörigkeit (oder die Konversion), Kompetenz (Anciennität und Leistung), finanzielle Mittel (die Aufstellung eines Fußregiments verschlang 1631 in der Anlaufphase ca. 135.000 fl.) und Herkunft bzw. verwandtschaftliche Beziehungen (Protektion). Der Obrist ernannte die Offiziere. Als Chef eines Regiments übte er nicht nur das Straf- und Begnadigungsrecht über seine Regimentsangehörigen aus, sondern er war auch Inhaber einer besonderen Leibkompanie, die ein Kapitänleutnant als sein Stellvertreter führte. Ein Obrist erhielt in der Regel einen Monatssold von 500-800 fl. je nach Truppengattung. Daneben bezog er Einkünfte aus der Vergabe von Offiziersstellen. Weitere Einnahmen kamen aus der Ausstellung von Heiratsbewilligungen, aus Ranzionsgeldern – 1/10 davon dürfte er als Kommandeur erhalten haben – , Verpflegungsgeldern, Kontributionen, Ausstellung von Salvagardia-Briefen – die er auch in gedruckter Form gegen entsprechende Gebühr ausstellen ließ – und auch aus den Summen, die dem jeweiligen Regiment für Instandhaltung und Beschaffung von Waffen, Bekleidung und Werbegeldern ausgezahlt wurden. Da der Sold teilweise über die Kommandeure ausbezahlt werden sollten, behielten diese einen Teil für sich selbst oder führten „Blinde“ oder Stellen auf, die aber nicht besetzt waren. Auch ersetzten sie zum Teil den gelieferten Sold durch eine schlechtere Münze. Zudem wurde der Sold unter dem Vorwand, Ausrüstung beschaffen zu müssen, gekürzt oder die Kontribution unterschlagen. Vgl. BELLINCKHAUSEN; TEGEDER; KREIENBRINK, der osnabrugischen handlung, S. 277: „Wir burger mußen alle wochen unse contribution zahlen, die obristen nehmmens geldt zu sich, und die gemeinen soldaten mußen hunger leyden“. Der Austausch altgedienter Soldaten durch neugeworbene diente dazu, ausstehende Soldansprüche in die eigene Tasche zu stecken. Zu diesen „Einkünften“ kamen noch die üblichen „Verehrungen“, die mit dem Rang stiegen und nicht anderes als eine Form von Erpressung darstellten, und die Zuwendungen für abgeführte oder nicht eingelegte Regimenter („Handsalben“) und nicht in Anspruch genommene Musterplätze; abzüglich allerdings der monatlichen „schwarzen“ Abgabe, die jeder Regimentskommandeur unter der Hand an den Generalleutnant oder Feldmarschall abzuführen hatte; Praktiken, die die obersten Kriegsherrn durchschauten. Zudem erbte er den Nachlass eines ohne Erben und Testament verstorbenen Offiziers. Häufig stellte der Obrist das Regiment in Klientelbeziehung zu seinem Oberkommandierenden auf, der seinerseits für diese Aufstellung vom Kriegsherrn das Patent erhalten hatte. Der Obrist war der militärische ‚Unternehmer‘, die eigentlich militärischen Dienste wurden vom Major geführt. Das einträgliche Amt – auch wenn er manchmal „Gläubiger“-Obrist seines Kriegsherrn wurde – führte dazu, dass begüterte Obristen mehrere Regimenter zu errichten versuchten (so verfügte Werth zeitweise sogar über 3 Regimenter), was Maximilian I. von Bayern nur selten zuließ oder die Investition eigener Geldmittel von seiner Genehmigung abhängig machte. Im April 1634 erging die kaiserliche Verfügung, dass kein Obrist mehr als ein Regiment innehaben dürfe; ALLMAYER-BECK; LESSING, Kaiserliche Kriegsvölker, S. 72. Die Möglichkeiten des Obristenamts führten des Öfteren zu Misshelligkeiten und offenkundigen Spannungen zwischen den Obristen, ihren karrierewilligen Obristleutnanten (die z. T. für minderjährige Regimentsinhaber das Kommando führten; KELLER, Drangsale, S.388) und den intertenierten Obristen, die auf Zeit in Wartegeld gehalten wurden und auf ein neues Kommando warteten. Zumindest im schwedischen Armeekorps war die Nobilitierung mit dem Aufstieg zum Obristen sicher. Zur finanziell bedrängten Situation mancher Obristen vgl. dagegen OMPTEDA, Die von Kronberg, S. 555. Da der Obrist auch militärischer Unternehmer war, war ein Wechsel in die besser bezahlten Dienste des Kaisers oder des Gegners relativ häufig. Der Regimentsinhaber besaß meist noch eine eigene Kompanie, so dass er Obrist und Hauptmann war. Auf der Hauptmannsstelle ließ er sich durch einen anderen Offizier vertreten. Ein Teil des Hauptmannssoldes floss in seine eigenen Taschen. Ertragreich waren auch Spekulationen mit Grundbesitz oder der Handel mit (gestohlenem) Wein (vgl. BENTELE, Protokolle, S. 195), Holz, Fleisch oder Getreide. II. Manchmal meint die Bezeichnung „Obrist“ in den Zeugnissen nicht den faktischen militärischen Rang, sondern wird als Synonym für „Befehlshaber“ verwandt. Vgl. KAPSER, Heeresorganisation, S. 101ff.; REDLICH, German military enterpriser; DAMBOER, Krise; WINKELBAUER, Österreichische Geschichte Bd. 1, S. 413ff.
[2] Vgl. die Erwähnung bei HARRACH, Diarien, Bd. 2, S. 132. Nach REDLICH, Military Enterpriser, S. 347, bzw. auch SODINI, L’Ercole tirreno, S. 188, dagegen ein Bruder Giulio Diodatis.
[3] Lucca [Prov. Lucca, Italien].
[4] Vgl. BARKER, Piccolomini. Eine befriedigende Biographie existiert trotz des reichhaltigen Archivmaterials bis heute nicht. Hingewiesen sei auf die Arbeiten von ELSTER (=> Literaturregister) verwiesen.
[5] Vgl. auch CATALANO, Ein Chamäleon; REBITSCH, Wallenstein; MORTIMER, Wallenstein; SCHUBERTH; REICHEL, Die blut’ge Affair’.
[6] Vgl. HALLWICH, Gestalten aus Wallenstein’s Lager II. Johann Aldringen; DUCH, Aldringen (Aldringer), Johann Frhr.
[7] Pilsen [Plzeň]; HHSBöhm, S. 444ff.
[8] Vgl. BROCKMANN, Dynastie.
[9] Vgl. REBITSCH, Matthias Gallas; KILIÁN, Johann Matthias Gallas.
[10] MANN, Wallenstein, S. 900f.
[11] MANN, Wallenstein, S. 962f.
[12] Überlingen [Bodenseekr.]; HHSD VI, S. 807f.
[13] TERSCH, Freudenfest, S. 223f.
[14] Vgl. HENGERER, Kaiser Ferdinand III.; HÖBELT, Ferdinand III.
[15] avisation: Ankündigung, Benachrichtigung; die richterliche Eidesbelehrung und Meineidsverwarnung, die der Ableistung eines Eides vorausgeht und in einem Hinweis auf die Wichtigkeit und Heiligkeit des Eides und auf die Folgen eines falschen Eides besteht.
[16] SEMLER, Tagebücher, S. 259f.