Deichmann, Christoph

Deichmann, Christoph; Kanzler [1576 in Burgsteinfurt – 1648 in Hamburg] Christoph Deichmann war der Sohn des Steinfurter Bürgermeisters Rötger Deichmann und dessen Ehefrau Adelheid Haupt. Nachdem Deichmann das Gymnasium in Burgsteinfurt[1] absolviert hatte, immatrikulierte er sich an der Universität Köln.[2] Sein weiterer universitärer Werdegang führte ihn an die Universitäten Herborn[3] (1595), Wittenberg[4] (1598) und Marburg[5] (1599). Von hier aus begann er seine „Kavalierstour“, welche ihn einige Jahre lang durch Frankreich, Italien und die Niederlande führte. Nach seiner Rückkehr war er wieder an der Universität Marburg zu finden, wo er mit Erfolg „de potestate“ disputierte und am 14. 3.1605 zum „Iuris Utriusque Doctor“ promoviert wurde. Dort hielt Deichmann im selben Jahr, am 23.10.1605, seine Antrittsvorlesung „Oratio de docendi ac discendi iuris necessitate“ als neu berufener Professor für Rechtswissenschaft.[6]

Seit dem 15.4.1605 war Deichmann mit Christina Vultejus verheiratet, einer Tochter seines früheren Lehrers Hermann Vultejus. Als Deichmann 1621 eigenmächtig mit dem spanischen General Spinola die Binger[7] Übereinkunft vom 20.3.1621 aushandelte, suspendierte ihn Landgraf Moritz von Hessen-Kassel sofort von seinem Dienst. Am 1.5.1621 wurde Deichmann vom Landgrafen fristlos entlassen. Doch schon einige Wochen später fand Deichmann einen neuen Aufgabenbereich als gräflich-lippischer Kanzler und Vizepräsident des Hofgerichts zu Detmold.[8] Als solcher überwachte er u. a. Fürst Ludwig I. von Anhalt-Köthen und Graf Christian von Waldeck als Vormunde des noch minderjährigen Grafen Simon Ludwig zur Lippe-Detmold.

„Graf v. Gronsfeld, der Oberbefehlshaber der Kaiserlichen in Westfalen, war natürlich durch diesen Beweis des offenen Abfalles [des Grafen zur Lippe; BW] vom Kaiser aufs äußerste erbittert. Die Schweden aber vermochten nicht den Grafen zur Lippe gegen seine Rache zu schützen, ja, sie legten ihm selbst noch größere Lasten auf, als dies jemals von den Kaiserlichen geschehen war. Schon im Frühjahr, als die Schweden nach Hameln[9] zogen, drohten die Kaiserlichen von Minden[10] aus das lippische Land, weil die Schweden von diesem unterstützt wurden. Graf Simon Ludwig schickte deshalb Gesandte an Gronsfeld, um wegen ausdrücklicher Anerkennung seiner Neutralität zu verhandeln. Gronsfeld erklärte, daß er die Grafschaft wegen Simon Ludwigs Verhalten als Feindesland ansehen müsse; da er aber den Kanzler Deichmann als den Hauptschuldigen ansah, so verlangte er ausdrücklich, daß dieser ‚abgeschafft‘ würde“.[11]

„Wie oben erwähnt, hatte Graf Gronsfeld schon im Mai die Entlassung des Kanzlers Deichmann als des Hauptschuldigen an Simon Ludwigs schwedenfreundlicher Politik gefordert. Wie man sich in Lippe hierzu gestellt, ist aus den vorhandenen Akten nicht zu ersehen. Am 12. Oktober aber teilte der schwedische Kanzler Oxenstierna dem Grafen Simon Ludwig mit, daß er Christoph Deichmann zum Königlich Schwedischen Rat und Residenten im Westfälischen Kreise ernannt und ihm unter anderem ‚in specie etliche Sachen im Vertrauen zu kommunizieren aufgetragen habe‘. Schon aus dem Schlußsatz geht hervor, daß der Übertritt Deichmanns aus dem lippischen in den schwedischen Staatsdienst im vollen Einvernehmen zwischen Oxenstierna und Simon Ludwig erfolgt war. Es ist auch kaum anzunehmen, daß die Entlassung Deichmanns aus Lippe infolge jener lange vorher geschehenen Forderung Gronsfelds geschehen wäre, und von einem Wechsel in der lippischen Politik kann erst recht nicht die Rede sein. Deichmann blieb nach wie vor in allen wichtigen Angelegenheiten der Berater Simon Ludwigs und suchte auch, soweit dies die jetzt von ihm vertretenen Interessen irgendwie gestatteten, die Lage Lippes zu erleichtern. Ein Beispiel seiner Hilfe gegen einen schwedischen Oberst ist ja oben bereits erwähnt worden. Als die Gräfin Katharina, die Witwe Simon Ludwigs, 6 Jahre später einen neuen Kanzler berief, schrieb sie, daß sie ihm das hohe Gehalt Deichmanns nicht gewähren könne; dieser sei von ihrem verstorbenen Gemahl entlassen, weil ‚es dem Lande zu schwer geworden‘. Die kluge Frau hob diesen Grund, der ja vielleicht auch etwas mitgesprochen haben mochte, wohl nur deswegen besonders hervor, um die Niedrigkeit des angebotenen Gehalts zu entschuldigen. Auch der Umstand, daß Deichmann selbst und seine Erben noch viele Jahre später rückständiges Gehalt zu fordern hatten, ist noch kein ausreichender Grund zu der Annahme, daß er nur wegen der schwierigen Finanzlage das Land verlassen habe. Nicht weniger verlockten ihn der höhere Rang und Titel, wie aus folgendem zu ersehen ist: Bei der ferneren vertrauten Korrespondenz mit Simon Ludwig hatte er der Sicherheit halber ein Schreiben mit Du lac (mit versteckter Anspielung auf seinen deutschen Namen) unterzeichnet. Bei der Adresse auf dem Antwortschreiben muß dann wohl der bei Adligen übliche Titel gebraucht worden sein. Er schrieb mit Bezug darauf an Graf Simon Ludwig: ‚Ew. Gn. wollen doch mir als Ihrem unterthenigen Diener so hohe unverdiente Titul nicht geben. E. Gn. wißen meine Meinung und daß ich neben den Meinigen in einem erbarlichen bürgerlichen Stand zu bleiben begehre und daß mir gottlob die übrige Thorheit und Comödie der Wellt woll bekandt sein. Könnte ich meinem Beruf, als ich durch Gottes Gnade verhoffe, genug thuen, so achte ich das andere alles nicht und habe es gottlob von Jugend auf von Herzen verachten lernen‘.

Deichmanns Übertritt läßt sich ohnedies sehr leicht erklären. Der Kanzler Oxenstierna und andere maßgebende Persönlichkeiten hatten jedenfalls bei den verschiedenen Verhandlungen seine Befähigung erkannt und hielten ihn für besonders geeignet, auf einem größeren Gebiete, und zwar im westfälischen Kreise, für die evangelische Sache zu wirken. Als nun der Ruf zu einer Tätigkeit, die ganz seiner Begabung und Gesinnung entsprach, an ihn erging, hielt er sich trotz seiner augenscheinlichen Anhänglichkeit an das lippische Land und seinen jungen Regenten für verpflichtet, den bisherigen Wirkungskreis mit einem größeren und höheren zu vertauschen. Nach den Erfolgen der Schweden im südwestlichen Deutschland hatten die evangelischen Stände der beiden oberdeutschen und der beiden rheinischen Kreise im März 1633 durch den Bund von Heilbronn[12] dem Kanzler Oxenstierna die Leitung der Kriegsangelegenheiten völlig übertragen, während der ober- und niedersächsische Kreis sich zwar auch angeschlossen, aber doch eine gewisse Selbständigkeit sich vorbehalten hatten. Deichmann suchte nun die kleinen evangelischen Stände des westfälischen Kreises wenigstens in ein gleiches Verhältnis zu Schweden zu bringen, wie es bei den sächsischen Kreisen bestand. Sie sollten sich also zunächst miteinander vereinigen und dann ihre Vertreter zu einer Beratung mit denen des ober- und niedersächsischen Kreises nach Erfurt[13] oder sonst einem bequemen Orte senden. Graf Simon Ludwig erklärte darauf, daß er eine solche Verfassung zwar gern sehen würde, da er aber von den Kaiserlichen fast ganz umgeben sei, wäre die Gefahr für ihn zu groß; als einer der kleinsten müsse er erst abwarten, was die größeren Kreisstände täten. Auch als Deichmann ihm entgegnete, daß erst die Verfassung gemacht und eine Armee aufgestellt werden müsse, wenn man aus den Kriegspressuren herauskommen wolle, ließ er sich auf weiteres nicht ein. Sein jetziger Berater, Drost v. d. Borch, war ebenfalls der Meinung, daß die Sache von den mächtigeren Ständen abhinge, und wenn man auch in Lippe sich selbst mit Weib und Kind daransetze, ja wohl totschlagen lasse, so wäre doch die Frage, ob damit dem evangelischen Wesen geholfen sei, könne man hier schwerlich etwas tun usw.

Nach weiteren Verhandlungen mit Deichmann faßte Graf Simon Ludwig am 17. Januar 1634 folgende Resolution: ‚Waß der hochlöblichen evangelischen Ständen allgemeiner Schluß pro religione und patriae libertate sein wirt, davon wolte man sich nicht außsagen, unndt alß man kuntlich dieses Ohrts zwieschen Thür und Angell und gleichsam in der Pressen stecke, deßwegen man sich denn jegen Willen anderst außzulassen nicht vermöchte, so lebte man der tröstlichen vesten Zuversichtt, es werde bedeutte wohlgemeinte resolution unverschuldter Dinge nicht übell aufgenommen werden. Man sey gleichwohl deß bestendigen auffrichtigen Erbitens, wan hiernegst der Allerhöchste dieser Endts (da man in der Nähe bießhero und noch im augenscheinlicher Gefahr begrieffen und mit keiner sonbaren Veste versehen sey) bessere Sicherheitt scheinen lassen wirt, daß der jederzeitt gehabte gute Will (welchen man durch Gottes Gnade nimmer zu endern gedenkt) zu wohlgefelligen Genügen im Werke beselbst bezeiget werden soll. Wiewohl es sonsten auch offenbar und kuntlich ist, daß dieser Ohrts Einwohner und Unterthanen eine gerhaume Zeit die Wirklichkeitt mit Darstreckung deß Ihrigen uffs äußerste erwiesen haben und noch über Vermögen continuiren‘ „.[14]

Später war er brandenburgischer Kanzler in Güstrow[15] und lebte bis zu seinem Tod in Hamburg.

[1] Burgsteinfurt [LK Steinfurt]; HHSD III, S. 135ff.

[2] Köln; HHSD III, S. 403ff.

[3] Herborn [Dillkreis], HHSD IV, S. 212ff.

[4] Wittenberg [Kr. Wittenberg]; HHSD XI, S. 504ff.

[5] Marburg; HHSD IV, S. 35ff.

[6] RANIERI, Biographisches Repertorium D, S. 44; DROSTE, Im Dienste, B 27; SCHRÖDER, Lexikon, Bd. 2, S. 25; STRIEDER, Grundlage, Bd. 3, S. 1ff. Vgl. auch die im VD17 gelisteten Publikationen Deichmanns.

[7] Bingen; HHSD V, S. 43ff.

[8] Detmold [LK Detmold]; HHSD III, S. 156ff.

[9] Hameln; HHSD II, S. 192ff.

[10] Minden [LK Minden]; HHSD III, S. 517ff.

[11] STEGMANN, Lippe, 88.

[12] Heilbronn; HHSD VI, 315ff.

[13] Erfurt; HHSD IX, S. 100ff.

[14] STEGMANN, Lippe, S. 96ff.

[15] Güstrow; HHSD XII, S. 40ff.

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