Chapelle, N de la

Chapelle, N de la; Fähnrich [ -9.9.1621] Chapelle stand 1621 als Fähnrich im Leibregiment Gustav II. Adolfs, als er bei der Belagerung Rigas fiel.

„Am 1. August, früh um vier Uhr, sichten die Wachtposten auf den Wällen Rigas die ersten schwedischen Fahrzeuge vor der Mündung der Düna. So hat also das Gerücht die Wahrheit gesprochen: der schwedische König, der wenig Geld, aber viele Soldaten hat, streckt seine Hand nach dem reichen, betriebsamen Riga aus. Immer mehr Segel tauchen am Horizont auf, immer bedenklicher zählen die Bewohner Rigas  die Schiffe der feindlichen Flotte, deren Größe ihre schlimmsten Befürchtungen noch übersteigt. Von einem der vordersten Fahrzeuge steigen Rauchwolken auf, dann ertönen dumpf und drohend vier Kanonenschüsse. Die Kanonen Rigas antworten mit drei Schüssen. Die zwei Kämpen grüßen einander, und das ernste Schauspiel kann beginnen.

In den nächsten Tagen wird Riga von allen Seiten eingeschlossen. Als die Schweden anfangen, die ersten Schanzen aufzuwerfen, zünden die Bewohner Rigas ihre Vorstädte an, damit der Gegner sie nicht für seine Zwecke nutzen kann. Flammen und Rauchwolken, aus Hunderten von brennenden Häusern aufsteigend, bilden das Vorspiel zu dem Hexenkonzert, das nun beginnen soll. Die Bewohner Rigas ziehen sich in ihre Festungswerke zurück, und die Tore der Stadt werden doppelt verschlossen.

Während die schwedische Flotte die Düna blockiert, schlägt das schwedische Heer vor der Stadt in fünf verschiedenen Gruppen sein Lager auf. Des Königslager, zu dem das Hofregiment gehört, wird nordöstlich der Stadt beim Kloster St. Gertrud abgesteckt. Hier hat Johan Baner Gelegenheit, die Wirksamkeit des Königs aus  nächster Nähe zu verfolgen, hier erfährt er das Allerneueste über den Fortgang der Belagerung und hierher kann er sich zu kurzen Ruhepausen zurückziehen. Es gibt viel zu lernen, und mit wachem Interesse verfolgt Johan die systematischen Anordnungen des Königs, die technischen Finessen der Fortifikationsoffiziere, das methodische Feuern der Artillerie, die energischen Gegenangriffe der Verteidiger und die besondere Taktik des Nahkampfes. Im Lauf eines langen, ereignisreichen Monats lernte er das meiste von dem, was er über den Angriff auf eine befestigte Stadt wissen muß. Viele Soldaten sieht er an seiner Seite fallen, er ist Augenzeuge mancher unerschrockenen, wagehalsigen Unternehmung, wie die anderen setzt er die eigene Person rücksichtslos der Gefahr aus; er begreift, daß der Tod des Soldaten getreuester Begleiter ist. Er empfängt die Feuertaufe und trägt als Erinnerung an die scharfgeschliffenen Waffen der Bürger von Riga ein paar Narben davon. Unter dem Donner der Kanonen absolviert er seine Meisterprüfung als Soldat und legt den Grund zu einer militärischen Laufbahn, deren Höhepunkt das Amt eines Feldmarschalls ist.

Riga wird allgemein für eine der stärksten Festungen Osteuropas gehalten. Mit Respekt betrachten die schwedischen Soldaten die Verteidigungsanlagen; sie fühlen sich geneigt, diesem Urteil beizustimmen. Das Innere der Stadt ist durch einen dreifachen Festungsgürtel geschützt. Die erste Befestigungslinie wird von einer mittelalterlichen Mauer mit etwa zwanzig hohen Türmen gebildet, in deren Schießscharten klobige Kanonen und leichte Falkonetts zu sehen sind. Außerhalb dieser Mauer erstreckt sich ein starker Festungswall mit Bastionen, die sich dem Feinde wie scharfe Stacheln entgegenschieben. Die äußere Verteidigungslinie bildet ein breiter, mit Wasser gefüllter Graben, der nur unter großen Schwierigkeiten genommen werden kann. Die Überreste der Verteidigungsanlagen zeugen noch heute von der massiven Stärke der Befestigungen.

An bestimmten Abschnitten jedoch sind die Anlagen von nicht ganz einwandfreier Beschaffenheit und nicht in dem Maße ausgebaut, wie die Bedeutung der Stadt es erfordert hätte. Gustav Adolf ist hierüber gut informiert, einer der holländischen Fortifikationsoffiziere der Stadt hat ihn über die Qualität der Festungswerke und den Verteidigungsplan des Kommandanten eingehend informiert. Durch diesen Überläufer erfährt der König auch, daß die Besatzung außer 3700 bewaffneten Bürgern nur 800 polnische Reiter zählt. In kurzsichtiger Verblendung haben die Polen es unterlassen, die Besatzung zu verstärken, sie nahmen die Gefahr nicht ernst genug. Mit inneren Zwistigkeiten beschäftigt, überlassen sie es den Bürgern Rigas, auf eigene Faust fertig zu werden. Ein Beweis ihrer Gleichgültigkeit gegenüber der Stadt und ihrer Bevölkerung. Verachtung erfaßt die stolzen, kraftvollen Bürger vor einem solchen Schutzherrn, der nichts versteht, nichts vermag und sie in der Stunde der Not im Stich läßt. Vierzig Jahre lang, seit dem Jahr 1681,[1] hat Riga unter polnischer Oberhoheit gestanden, und die Erfahrungen, die es in dieser Zeit machen mußte, sind nicht nur freundlicher Art. Die fleißigen, pflichtbewußten deutschen Bürger der Stadt fühlen in der Schicksalsstunde, wie wenig sie doch mit den unbeständigen Polen gemeinsam haben, die gedankenlos eins der schönsten Kleinodien des Reiches preisgeben.

Die Stadt ist also ganz auf sich gestellt, als der schwedische Angriff erfolgt. Sie hat kein Reich, auf das sie sich verlassen kann, sie ist keine Hauptstadt eines nationalen Staates. Riga ist ein alleinstehendes Gemeinwesen, dessen Reich vor den Toren der Stadt zu Ende ist. Kirchen, Paläste und Bürgerhäuser besitzt es in großer Zahl, aber keine ausgedehnten Waldgebiete, keine Flüsse, Berge und Täler, keine stammverwandte Landbevölkerung. Doch die Bürger von Riga verzagen nicht. Mehrere Jahrhunderte hindurch haben sie sich selbst regiert, sie schätzen ihre Unabhängigkeit hoch ein und sind hartnäckige Vorkämpfer des freien Handels, der ihren Truhen Gold bringt. Darum sind sie entschlossen, dem schwedischen König, der wahrscheinlich ein strengerer Herr als der König in Warschau sein würde, zu trotzen.

Gustav Adolf verfügt über 18.000 Mann. Trotz dieser bedeutenden Überlegenheit kann er nicht sofort zum Sturm auf die Stadt vorgehen, er muß sie regelrecht belagern. So werden eiligst Laufgräben gezogen, die Artillerie wird in Stellung gebracht, und die Scharmützel beginnen. Ununterbrochen, ob Alltag oder Sonntag, früh oder spät, kracht das Feuer der schwedischen Batterien, schleudert seine Geschosse auf die Festungswälle und beschießt die Häuser mit glühenden Kugeln. In die groben Baßstimmen der Mörser mischt sich das scharfe Knallen der Feldkanonen. Mauern stürzen unter dieser heftigen Kanonade ein, Türme fallen zusammen, Gebäude geraten in Brand, und Fahrzeuge werden vernichtet. Daneben werden Minen gelegt und wiederholt Angriffe und nächtliche Überfälle gemacht. Aber die Bürger Rigas sind aus zähem Holz. Von den polnischen Reitern haben sie wenig Nutzen, sie müssen sich auf sich selbst verlassen. Opferfreudig ziehen Meister, Gesellen und Lehrlinge in den Kampf; viele büßen ihr Leben ein, aber die Zurückbleibenden kämpfen unverdrossen weiter. Tagsüber fechten sie, nachts bessern sie die Schäden an den Festungswerken aus. Durch scharfe Gegenangriffe, geglückte Minenlegungen und intensives Feuer verstehen sie sich Respekt zu verschaffen. Die Kühnheit der Gesellen bereitet den Schweden unangenehme Überraschungen, und die geruhigen Kaufleute laden die Kanonen mit einer Gewandtheit, als hätten sie nie im Leben etwas anderes getan. Sie sind aller Bewunderung wert, diese selbstbewußten Bürger, die bis zum Äußersten für ihre Stadt und ihre Privilegien kämpfen.

Aber trotz ihrer Tapferkeit können sie nicht hindern, daß die Schweden sich näher an die Stadt heranarbeiten, daß die Festungswerke zerstört werden und der Druck der Angreifer immer härter wird. Die Mineure von beiden Seiten sind einander inzwischen so nahe gekommen, daß sie sich auch unter der Erde gegenseitig hacken und graben hören können. Manchmal stoßen sie aufeinander, und dann werden heftige Kämpfe ausgefochten, bei denen Hacke, Spaten und Handgranaten als Waffen dienen.

Am 30. August, nachmittags um 5 Uhr, sehen die Wachtposten von Riga plötzlich etwas, da sie hoch erfreut. Polnische Truppen rücken unter dem Feldherrn [Christoph; BW] Radziwill von der anderen Seite der Düna her zum Entsatz heran und machen Anstalt , den Übergang über den Fluß zu erzwingen. Die Bürger von Riga sammeln sich aufatmend auf den Wällen und bereiten sich darauf vor, das Unternehmen durch einen Ausfall zu unterstützen. Eine lange, erwartungsvolle Nacht hindurch geben die Belagerten sich den rosigsten Hoffnungen hin. Aber das klare Licht des heraufziehenden Morgen zerstreut die Nebel ihrer Illusionen. Die Schar, die Radziwill kommandiert, ist erbärmlich klein,[2] und ihre wiederholten Attacken werden von den Schweden mit Leichtigkeit abgewiesen. Schon gegen 1 Uhr am 31. August, also noch nicht vierund-zwanzig Stunden nach seinem Anrücken, tritt Radziwill den Rückzug an und überläßt die Bürger von Riga ihrem Schicksal. Dies ist das letztemal in der Geschichte, daß die Polen ihre Macht über Riga geltend zu machen versuchen. Ihrem Einfluß auf diese Stadt ist ein Ziel gesetzt, ihre Herrschaft in diesem Teil der Ostsee steht vor dem Zusammenbruch. Als die polnischen Reiter am Horizont verschwinden und nur noch eine Staubwolke über der Ebene steht, werden die Bewohner Rigas von tiefer Enttäuschung ergriffen. Verraten und verkauft, fühlen sie sich verloren, wenn es ihnen nicht gelingt, sich selbst zu retten.

Als am Sonnabend, den 9. September, eben die Glocken zum Abendgottesdienst läuten, machen die Schweden heftige Vorstöße auf zwei der Außenwerke, das Sandrondell und die Jakobsbastion. Das Sandrondell wird von Gustaf Horns Nordländern überfallen, die Jakobsbastion von Baners, de la Chapelles und Muschamps Kompanien vom Hofregiment. Nun bekommt Johan Baner Gelegenheit, zu zeigen, wozu er taugt. Nachdem das Tor der Bastion durch eine Petarde gesprengt worden ist, stürzen die Angreifer durch die Öffnung hinein, stoßen die Verteidiger beiseite und erstürmen die Brustwehr. Von allen Seiten eilen die Bürger herzu, und ein heftiger Nahkampf entsteht. Der junge Fähnrich de la Chapelle fällt und mit ihm viele andere. Aber der Angriff geht weiter“.[3]

[1] 1581; BW.

[2] Nach JUNKELMANN, Gustav Adolf, S. 254, 1.500 Mann; nach BERNER, Gustav Adolf, S. 206, „ein paar tausend Mann.

[3] STECKZÉN, Der schwedische Löwe, S. 47ff.

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